"Mal eine echte Zeitzeugin zu erleben – das ist wirklich beeindruckend", begeistert sich
Rilana Heuser. Viel spannender als die langweiligen Texte in Schulbüchern, ergänzt ihre
Nachbarin Nicole Neuruhr. Lange applaudieren die beiden 18-jährigen – gemeinsam mit
der gesamten Jahrgangsstufe 13 des St. Ursula-Gymnasiums.
Die Frau, die die Jugendlichen fast zwei Stunden in ihren Bann zieht, heißt Angelika
Barbe. Die prominente Bürgerrechtlerin erzählt über ihre Jugend in der DDR, über die
Stimmung damals zu Wendezeiten und über ihr politisches Engagement, Die Jugend-
lichen erfahren, dass sie als Tochter eines "Klassenfeindes" – ihr Vater war engagierter
Protestant – kein Abitur machen durfte. Und dass ihre Familie als "feindliche negative
Kraft" systematisch isoliert wurde. "Da lernt man die eigene Freiheit erst mal schätzen",
meint Rilana. "Und entwickelt einfach mehr Verständnis für die Ostdeutschen. Das Gan-
ze ist ja hier im Rheinland so weit weg", ergänzt Nicole.
Genau aus diesem Grund tingelt Barbe, engagiert von der Konrad-Adenauer-Stiftung, unter
dem Motto "Wie gelungen ist die deutsche Einheit" durch Schulen in NRW. "Die waren ja
alle erst acht oder neun Jahre als, als die Mauer fiel. Die Zeit der Wende und davor wird
einfach durch Zeitzeugen am lebendigsten", begründet sie ihr Engagement.
In der Tat hören die Schülerinnen und Schüler aufmerksam zu, lachen über DDR-Witze
und verwickeln die 49-jährige, die 1989 zusammen mit Markus Meckel und Martin Gutzeit
die SPD gründete und später für die Partei im Bundestag saß, in eine lebhafte Diskussi-
on. Warum sie 1996 zur CDU übergetreten sei, will ein Schüler wissen. "Weil ich die An-
näherung an die PDS als Nachfolgerin des SED-Unrechtsregimes nach all meinen Erfah-
rungen nicht hinnehmen konnte", lautet die Antwort. Hier grenze sich die Union am stärk-
sten ab.
Viel mehr interessiert die Schüler aber die Ausländerfeindlichkeit in Osten. "Warum ist der
Rechtsradikalismus im Osten stärker ausgeprägt?" – diese Frage brennt ihnen unter den
Nägeln. Und Angelika Barbe erzählt, wie es war in der Völkerverständigung predigenden
DDR: Wie die Ressentiments gegenüber Polen, in dem die demokratische Bewegung viel
früher aktiv war, systematisch geschürt wurden. "Die Polen galten als faule Nachbarn, die
uns alles weg kaufen. Und die Gastarbeiter aus Vietnam und Mosambique wurden in zel-
lenartigen "Arbeiterschließfächern" verstaut. Ohne Kontakte mit der Bevölkerung und mit
Abtreibungszwang für die Frauen", erzählt sie.
Die weit verbreitete unterschwellige Ausländerfeindlichkeit rühre zudem daher, dass an-
ders als im Westen die NS-Zeit nie aufgearbeitet worden sei. Auch der Gruppendruck sei
viel stärker als im Westen. "Gerade wegen dieser Gefahren ist es wichtig, sich politisch
dafür zu engagieren, dass die Demokratie nie durch Extremismus gefährdet wird",
schärft sie den Zuhörern ein.
Bei Rilana und Nicole kam die Botschaft an. Sonst seien sie je eher nicht an Politik in-
teressiert, meinen sie hinterher. "Aber wenn man das so hört, sollte man sich ja viel-
leicht doch engagieren."
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