Werner Otte ist seit 1985 Schulleiter des St.-Ursula- Gymnasiums in Brühl.
Otte ist ein Verfechter des Leistungsgedankens und meint, man solle als
Schule nicht bei jeder Reform mitschwimmen, sondern auch an Bewährtem
festhalten.
Frage: Das erste Zentralabitur in Nordrhein-Westfalen wurde gerade
abgeschlossen. Was halten Sie von der neuen Regelung und der Forderung
nach einem bundesweiten Zentralabitur?
Otte: Dem Zentralabitur stehe ich positiv gegenüber, auch weil es die
Lehrer entlastet. Tausende Lehrer mussten bislang für die Abiturjahrgänge
Themen festlegen und Aufgaben stellen, selbst wenn nur ein oder zwei Schüler
in einem Fach Abitur machen wollen. Die Zeit der Lehrer kann besser genutzt
werden. Aber ob man über Zahlen eine höhere Gerechtigkeit erreichen kann,
ist fraglich. Wie kann man letztlich eine 1- oder eine 2+ unterscheiden?
Frage: Viele Schulen wollten ihre Durchschnittsabiturnote nicht bekanntgeben.
Was sagt der Durchschnitt über Schule, Lehrer und Schüler aus?
Otte: Die Abiturnote setzt sich aus den Ergebnissen der sechs Leistungskurse
und der 20 Grundkurse sowie der drei schriftlichen und einer mündlichen
Prüfung zusammen. Nur die Noten der drei schriftlichen Prüfungen sind im
Rahmen des Zentralabiturs vergleichbar. Die anderen 27 Ergebnisse sind
schulintern. Die Durchschnittsnote wird aber so verstanden, als könne man
dort die Qualität einer Schule ablesen.
Frage: Wie denken Sie über das mehrgliedrige Schulsystem?
Otte: Die Schullandschaft in Brühl mit zwei Gymnasien, einer Gesamtschule,
zwei Realschulen und einer Hauptschule ist ein Beweis dafür, wie effizient
und erfolgreich ein mehrgliedriges Schulsystem ist. Wir leben in einer
pluralistischen Gesellschaft und brauchen deshalb ein plurales Schulsystem.
Was ich mit meinen Schülern in der fünften Klasse in Latein durchnehme,
wäre bei einer anders zusammengesetzten Gruppe nicht möglich. Das Gymnasium
ist laut Pisa die erfolgreichste Schule.
Frage: Aber gemeinsames Lernen klappt doch auch in Grundschulen?
Otte: In der Grundschule langweilen sich einige Kinder, und deren Eltern
sind froh, wenn sie auf weiterführende Schulen gehen.
Frage: Woran krankt das Schulsystem Ihrer Meinung nach?
Otte: Ich hätte mir schon früher Kontrollen der Schulaufsicht gewünscht,
wenn beispielsweise Vornoten und Endergebnisse bei Schülern von bestimmten
Schulen immer wieder voneinander abwichen. Bei der Ausbildung der Lehrer
habe ich die Sorge, dass das Fachwissen im Vergleich zu pädagogischen
Themen zu kurz kommt. Die fachliche Kompetenz ist das Wichtigste. Außerdem
muss das Image des Lehrers in der Öffentlichkeit wieder verbessert werden.
Frage: Was halten Sie von der Verkürzung der Zeit bis zum Abitur auf zwölf
Jahre?
Otte: Ich befürworte das, weil es in der Oberstufe bislang doch einigen
Leerlauf gegeben hat. Die jungen Leute können jetzt früher mit ihrem Beruf
oder dem Studium beginnen. Allerdings müsste die Stundentafel ausgedünnt
werden. Bis zu 35 Schulstunden und dann noch Hausaufgaben sind zu viel.
Das würde keine Gewerkschaft mitmachen. Die Erwachsenen bürden den
Kindern eine Last auf, die sie selbst nie tragen wollten.
Frage: Wieso ist die Schulpolitik ein so emotionales Thema?
Otte: Ich begrüße es, dass über die Schulpolitik gesprochen wird. Jede
politische Seite versucht, mit diesem Thema zu punkten. Wer an der Macht
ist, hat auch einen großen Einfluss auf die Bildung. Erziehung sollte
auch kein staatliches Monopol sein.
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