Verabschiedung der Abiturienten am 23. Juni 2001

Ansprache von OStD i.K. Werner Otte




Liebe Abiturientinnen und Abiturienten!

Als im letzten Sommer plötzlich die Themen "Rechtsextremismus" und "Ausländer-
feindlichkeit" die Nachrichten zu bestimmen begannen, schickte die Bezirksregierung Köln prompt Fragebögen an die Schulen, in denen eingetragen werden sollte, welche Projekte es schon früher gegen den Rechtsradikalismus gegeben habe, welche zur Zeit durchgeführt würden oder für die Zukunft geplant seien.

Ich habe diese Anfrage sofort zerrissen, weil ich in ihr nur den Versuch sah, der Öffent-
lichkeit in einem sensiblen Bereich schnelles und entschlossenes Handeln von Seiten der Politik zu suggerieren.

Im Nachhinein aber habe ich mich darüber geärgert, nicht reagiert zu haben; denn ich hätte schreiben sollen:

Unsere ‚Aktionen' gegen Gewalt von allen Seiten(1) sind:
Das tägliche Morgengebet
Die wöchentliche Schulmesse
Die Verpflichtung zur Teilnahme am Religionsunterricht

Und ich glaube wirklich, dass diese drei Faktoren die beste, weil radikalste Prävention gegen jede Form von Gewalt gegenüber anderen Menschen sein können; denn das christliche Gottes- und Menschenbild, wie es uns im Alten und Neuen Testament geschenkt ist, ist die "radix", die Wurzel christlicher Solidarität und Nächstenliebe.

In 9 Jahren an unserem Gymnasium, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, ist in nahezu 2000 Morgengebeten immer wieder unser Verhältnis zu Gott und zu den Menschen zur Sprache gekommen und ist Fürbitte für andere gehalten worden. Sollte das wirklich keine Wirkung haben?

Im "Schuldbekenntnis" zu Beginn der Hl. Messe bekennen wir Christen vor Gott und vor einander, dass wir "Gutes unterlassen und Böses getan habe(n). Ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken.

Damit wird uns immer wieder vor Augen gehalten: die "Sünde" besteht nicht erst in körperlicher Gewalt, vielmehr kann man auch mit Worten "gewalttätig" sein und schließlich beginnt die Gewalt im Kopf, in den Gedanken(2) und man kann sich nicht selbst entschuldigen durch den Hinweis auf andere oder auf die Verhältnisse, sondern wir klopfen an die eigene Brust und bekennen voreinander: "durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld und wir bitten um Fürsprache bei Gott, der allein entschuldigen kann.

Auch im Religionsunterricht sind Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, immer wieder grundlegenden Texten der Offenbarung begegnet. So vermittelt uns die Schöpfungserzählung den Glauben, dass jeder Mensch "Ebenbild Gottes" ist – jeder ist gleich wertvoll, jeder besitzt dieselbe Menschenwürde, unabhängig von seiner Hautfarbe, unabhängig von seiner Nationalität, unabhängig von seinem gesellschaftlichen Stand, unabhängig von seinem Beruf, seiner Arbeitskraft, seiner Kaufkraft und – im Gegensatz zu Äußerungen des Kulturministers - auch unabhängig von der Fähigkeit zur Selbstachtung; jeder besitzt dieselbe Menschenwürde, ob geboren oder noch nicht geboren, ob jung oder alt, ob gesund, krank oder behindert, ein Gedanke, der sich auch bei Matthäus findet: "Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,45).

Entsprechend sendet der auferstandene Herr die Apostel nicht exklusiv zu ausgewählten Menschen und Völkern; vielmehr lautet sein Auftrag: "Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19) und entsprechend ist Kirche grundsätzlich immer "katholisch" – alle Menschen und alle Völker umfassend.

Aber auch schon in der Erzählung von Kain und Abel (Gen 4) wird die Frage "Bin ich denn der Hüter meines Bruders?" eindeutig mit ja beantwortet. Entsprechend kümmert sich der Samariter um den Juden, der auf dem Weg nach Jericho unter die Räuber gefallen ist, obwohl das Verhältnis beider Volksgruppen nicht spannungsfrei ist, und entsprechend kann ich als Schulleiter eines katholischen Gymnasiums bei gelegentlichen Rangeleien kleinerer Schüler ganz selbstverständlich zu bedenken geben:

Gott hat uns die Hände gegeben - nicht, damit wir sie zur Faust ballen und dem anderen ins Gesicht schlagen, sondern damit wir uns die Hände reichen können.

Er hat uns den Mund gegeben - nicht, damit wir andere bespucken, sondern damit wir miteinander sprechen können.

Er hat uns die Füße gegeben - nicht, damit wir andere treten, sondern damit wir aufeinander zugehen können.

Und ebenso selbstverständlich kann ich als Schulleiter eines Katholischen Gymnasiums auch Ihnen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, sagen:

Gott hat uns die Freiheit gegeben - nicht, damit wir tun und lassen, was wir wollen nach dem Motto "das muss jeder selber wissen"; Gott hat uns die Freiheit gegeben, um uns als Partner in die Mitverantwortung für die Zukunft zu nehmen – für das Heil der Menschen.

Alle aufgeführten Aspekte - und die Liste ist nicht vollständig - können an unserem Gymnasium über 9 Jahre nicht ohne Wirkung bleiben, und sie haben diese Wirkung um so mehr, weil praktisch alle Eltern als Christen unsere Überzeugungen teilen und in diesen Fragen ein breiter Grundkonsens vorhanden ist.

Entsprechend positiv ist es für die Schüler zu erleben, dass sich so viele Eltern ehrenamtlich in das Schulleben einbringen, nicht etwa zum Nutzen der eigenen Kinder, sondern solidarisch für das Schulganze, und dass sich auch das Lehrerkollegium insgesamt weit über das Normalmaß hinaus für unsere Schüler engagiert.

In Bezug auf die Eltern haben Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, z.B. täglich erleben können, dass Sie in Freistunden die Bibliothek nur deshalb benutzen konnten, weil Mütter Aufsicht führen. Die Eltern arbeiten in den Fachkonferenzen mit, begleiten die Arbeit der Schule in der Schulpflegschaft, in der Schulkonferenz und im Förderverein, engagieren sich in Ausschüssen und bei Schulfesten und haben auch für die Vorbereitung des nächsten Schulballs wieder die Federführung übernommen.

Auch beim Schülerticket war nicht zu übersehen, dass der Ticket-Ausschuss überwiegend aus Elternvertretern besteht und dass die Eltern auch im politischen Bereich sowie in Presse und Fernsehen eine gute Figur machten.

Dabei ging es aber wieder nicht darum, einen "Lastenausgleich" unter den Eltern verschiedener Wohnorte zu erreichen, sondern um "Solidarität mit der katholischen Schule". Auch die Eltern waren davon überzeugt, dass ein katholisches Gymnasium grundsätzlich für alle Kinder offen sein muss, unabhängig vom Wohnort und den damit verbundenen Fahrtkosten und damit unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern.

Ich nutze gern die Gelegenheit, Frau Römer-Moch für die Schulpflegschaft, Herrn Helmes für den Förderverein, Herrn Dr. Merkt für den Ehemaligenverein und Ihnen allen, liebe Eltern, für Ihre ideelle und materielle Unterstützung zu danken, sie gleichzeitig auch einzuladen, unserem Gymnasium über das Abitur der eigenen Kinder hinaus verbunden zu bleiben, z.B. als Mitglied des Fördervereins.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, auch in Bezug auf die Lehrer haben Sie an unserem Gymnasium viel Engagement über das Normalmaß hinaus erleben können, haben es aber vielleicht gar nicht wahrgenommen oder gar für selbstverständlich gehalten und haben dieses Engagement deshalb auf Ihrer Internet-Seite kaum gewürdigt.

Doch ist es wirklich "selbstverständlich", dass in den letzten Schuljahren immer wieder einzelne Lehrer Unterricht erteilt haben, ohne dafür bezahlt zu werden? "Regulären" Unterricht - keine Vertretungsstunden! Das Motiv? Solidarität mit den Schülern! - Für Schülergruppen, die für das NRW-Einheitsmaß zu klein sind, Laufbahnen zu erhalten oder Arbeitsgemeinschaften zu ermöglichen, für die eigentlich keine Stunden mehr zur Verfügung stehen!

Ist es wirklich "selbstverständlich", dass Lehrerinnen und Lehrer mit Teilzeitverträgen an mehrtägigen Veranstaltungen wie Klassenfahrten, Studienfahrten und Seminarveranstaltungen für Schüler die volle Zeit teilnehmen und ihre freien Tage einbeziehen, ohne diese Mehrarbeit bezahlt oder in Freizeit ausgeglichen zu bekommen? Dasselbe gilt für die Skifahrt der Oberstufe, für Probenwochenenden einzelner Musik- und Theatergruppen, für das Trainingslager der Leichtathleten, für die religiösen Wochenenden der Klasse 6 u.a.m. Immer verzichten Lehrerinnen und Lehrer dabei auf freie Tage und opfern sogar Sonn- und Feiertage dafür. Das Motiv? Solidarität mit den Schülern! – engagierten Schülern Angebote machen über das Normale hinaus! Lehrer-Sein ist eben nicht nur Job, sondern Beruf im Sinne von Berufung und Dienst an Menschen.

Ist es wirklich "selbstverständlich", dass eine ehemalige Kollegin einem Schüler, der beim Eintritt in unser Gymnasium kein Wort Deutsch sprach, ohne Bezahlung Deutschunterricht erteilt und ihm damit den Weg zum Abitur und in eine gesicherte Zukunft ermöglicht? Ist es wirklich "selbstverständlich", dass auch das Kollegium in diesem und in zahlreichen vergleichbaren Fällen die dadurch bedingten Zusatzbelastungen im Fachunterricht immer mit trägt? Das ist moralisches Handeln und kein katholisches Moralgetue!

Ist es schließlich "selbstverständlich", dass ein katholisches Gymnasium gerade in solch schwierigen Fällen Schüler aufnimmt und ihnen den Weg bereitet, wobei man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren kann, dass diese Kinder und ihre Eltern an anderen Schulen nicht gerade mit offenen Armen empfangen werden? Die Antwort lautet: Ja, das ist selbstverständlich, und zwar ohne Ansehen der Herkunft und der Religion.

Ich bin unserem Erzbistum dankbar, dass wir von ihm in dieser Auffassung unterstützt werden, ich bin den Eltern dankbar, dass sie das Engagement des Kollegiums sehen und anerkennen und ich bin den Schülern dankbar, dass auch sie offen und ansprechbar sind für solidarisches Handeln. Stellvertretend für alle möchte ich denen unter Ihnen besonders danken, die sich in der SV für die Belange der Mitschüler eingesetzt haben und dafür auch nicht immer die verdiente Anerkennung gefunden haben – nicht einmal bei den Mitschülern.

Natürlich bleibt festzuhalten: "Jedes Paradies hat seine Schlange" und natürlich ist auch an unserem Gymnasium nicht alles in Ordnung. Wir alle müssen bekennen, dass wir immer wieder "Gutes unterlassen und Böses getan haben". Auch bei uns wird "gesündigt in Gedanken, Worten und Werken"; aber wir bitten Gott und einander immer wieder um Vergebung und bleiben als Christen aufgefordert, Solidarität und Nächstenliebe nicht nur im Munde zu führen. und von anderen zu erwarten, sondern sie selbst zu praktizieren.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, Eltern und Lehrer haben in den letzten Jahren viel für Ihre Zukunft getan, nun sind Sie selbst an der Reihe.

Sie sorgen in den kommenden Jahren der Berufsausbildung oder des Studiums für Ihre eigene Positionierung in unserer Gesellschaft. Was Sie einmal sein werden, welche Rolle Sie spielen, welchen Einfluss Sie haben werden, liegt nun an Ihnen selbst.

Ich bin überzeugt, dass unsere Schule Ihnen das nötige Rüstzeug mit auf den Weg gibt; das werden Sie in ein paar Jahren rückblickend besser beurteilen können als heute. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass viele von Ihnen bisher zu wenig aus ihren Möglichkeiten gemacht haben und dies vielleicht schon ein wenig bereuen.

Positiv gewendet, heißt das jedoch: Viele von Ihnen können mehr, als sie bisher gezeigt haben. Vergraben Sie daher Ihre Talente nicht länger und verschlafen Sie Ihre Zukunft nicht, sondern nutzen Sie Ihre Möglichkeiten im Wissen darum, dass die Aussichten für Abiturienten lange nicht mehr so günstig waren wie heute. Vergessen Sie aber bitte nie, dass wir als Christen nicht für uns allein leben(3), sondern dass wir in jeder Position, die wir einnehmen, auch für die anderen verantwortlich sind(4).

Die Zukunft nicht verschlafen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, bedeutet zweitens, sich nicht aus der politischen Diskussion heraus zu halten; denn Ihr Leben wird auch von den künftigen Veränderungen in unserer Gesellschaft entscheidend bestimmt sein. Diese Veränderungen kommen nicht schicksalhaft auf Sie zu, vielmehr werden die Weichen für die Veränderungen heute gestellt und es liegt an Ihnen, ob sie aktiv Weichensteller sein wollen oder ob sie über die von anderen gestellten Weichen in eine fremdbestimmte Zukunft fahren müssen.(5)Mein Appell an Sie lautet: Zukunft ist nichts, was Sie den politischen Parteien oder anderen Meinungsmachern überlassen sollten. Nehmen Sie Ihre Zukunft selbst in die Hand! Seien Sie kritisch – auch selbstkritisch – und lassen Sie sich das Denken nie von anderen abnehmen oder gar verbieten!

Das bedeutet natürlich, dass Sie sich nicht in der Gegenwart verlieren dürfen – "erst der Spaß, dann das Vergnügen!"(6) – und dass Sie sich geistig nicht verdummen lassen dürfen, weder von der Unterhaltungsindustrie noch von den Medien noch von der Politik selbst.

Wie unterschiedlich z.B. ein und dieselbe Sache politisch bewertet werden kann, haben die Auseinandersetzungen um die Person von Außenminister Fischer gezeigt. Musste man von Seiten der eher linken Parteien fast den Eindruck gewinnen, als gäbe es ohne die 68er keine echte Demokratie in Deutschland, so hat Frau Römer-Moch in einem Leserbrief im Rheinischen Merkur offenbar eine etwas andere Sicht der Dinge und auch ich habe als Student diese Zeit eher anders in Erinnerung.

Die Studentenbewegung "kam aus Amerika und hatte ihre Anfänge in der Ablehnung des Vietnam-Krieges. In Deutschland wandte sie sich schnell ganz anderen Zielen zu [...]. Man beklagte schaudernd das Fehlen einer gesellschaftlichen »Theorie« und empörte sich, daß beim wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau der Bundesrepublik angeblich versäumt worden war, die Verbrechen der Nazi-Zeit »aufzuarbeiten« und gebührend zu verurteilen. Viele junge Leute ließen sich unvergorene kommunistische und anarchistische Ideologien und Utopien aufschwatzen. Über den demonstrativen Protest hinaus entstand eine Haltung gegenüber Staat und »Establishment«, die durchaus gewaltbereit war und sich dabei keineswegs auf »Gewalt gegen Sachen« beschränkte. Man griff in ähnlicher Weise zu Gewalt wie die Nazis 1932 und 1933.(7)

Inzwischen sind die meisten Achtundsechziger ganz normale Mitbürger geworden. Aber viele von ihnen finden es selbst in ihrem mittleren Lebensalter immer noch schwierig, unseren Staat und unsere Gesellschaft als die ihrigen anzuerkennen [...]. Und die heutigen Gewaltverbrechen gegen Ausländer oder die Anschläge gegen Castor-Transporte erinnern daran, daß es die Achtundsechziger waren, die erstmals seit Hitler wieder politisch motivierte Gewalt auf unseren Straßen verbreiteten."(8)

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, vielleicht haben sich einige von Ihnen innerlich schon über mich empört und in eine bestimmte Ecke gerückt, doch ich habe nur Helmut Schmidt zitiert, der diese Zeit als Minister und als Bundeskanzler hautnah erlebt hat. Ich teile seine Auffassung(9) und bin meinerseits empört, dass dieselben, die damals den Vorwurf erhoben, die Nazi-Vergangenheit sei nicht aufgearbeitet worden, und die daher mit Beifall bedachten, dass ein Bundeskanzler geohrfeigt wurde, dass dieselben Leute - auch unser Bundeskanzler - die DDR-Vergangenheit nicht aufarbeiten und nach kaum mehr als 10 Jahren einen Schlussstrich ziehen und mit der SED-Nachfolge-Partei Bündnisse eingehen wollen, einer Partei, die Innenminister Schily weiter vom Verfassungsschutz beobachten lässt, weil es "tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen" gibt.(10)

Achten Sie daher immer darauf, was gesagt wird, und nicht, wer etwas sagt, und prüfen Sie, ob das, was gesagt wird, "wahr" ist. Die Möglichkeiten dazu waren nie so groß wie heute. Seien Sie sich dabei bewusst, dass Politik immer mit Interessen, mit Macht und Machtverteilung zu tun hat und selten von der reinen Menschenfreundlichkeit bestimmt wird.

Oder glauben Sie etwa, dass die geplante Erhöhung des Kindergeldes auch nur entfernt etwas mit einer neuen Wertschätzung der Familie zu tun hätte? Wenn Sie Zeitung lesen, wissen Sie, dass das Bundesverfassungsgericht die Politik zu dieser und weiteren Maßnahmen verpflichtet und dass Familien mit Kindern auch weiterhin einen deutlich schlechteren Lebensstandard haben als Partnerschaften von Doppelverdienern ohne Kinder. Der Nutzen der Kinder wird trotz aller schönen Worte weiterhin sozialisiert, die Belastung durch Kinder bleibt privatisiert. Und dann sollen sich junge Leute für Kinder entscheiden?(11)

Und doch sollten Sie es tun, liebe Abiturientinnen und Abiturienten; denn wenn Ihre Eltern so gedacht hätten wie viele junge Leute heute, säßen Sie vielleicht nicht hier und unsere Sozialsysteme wären noch gefährdeter als sie es ohnehin schon sind. Wie nämlich sollen sie funktionsfähig bleiben, wenn immer weniger junge Menschen immer mehr Alte versorgen müssen?(12)

Mit einer Greencard können vielleicht Menschen aus dem Ausland zu uns gelockt werden, um in Spitzenjobs viel Geld zu verdienen, aber wohl kaum zum Besuchsdienst im Altenheim. Wer also wird Sie im Alter besuchen, wenn nicht Ihre eigenen Kinder? Wer wird sich um Sie kümmern? Utilitarismus ist nur gut, solange man nützlich ist. Wehe, man ist auf der falschen Seite!

Haben Sie auch schon einmal bedacht, dass die Sicherung des eigenen Systems durch das Anwerben von Ausländern durchaus auch unmoralische Züge hat? Wir wollen unseren Wohlstand sichern, indem wir die Intelligenz aus Schwellenländern abwerben, wo sie eigentlich dringend gebraucht wird. Entwicklungshilfe ist das jedenfalls nicht.

Aber machen wir es uns in anderen Bereichen nicht auch gern bequem und kommen uns noch besonders modern vor? Überbevölkerung gehen wir nur mit der Chemie der Pille an und für Aids in Afrika bieten wir nur Kondome, nicht etwa Geld für Bildung, nicht etwa preiswerte Medikamente auch für Arme.(13) Und wir verdrängen dabei allzu gern das simple Wissen, dass Kondome, die wir als Mittel zur Empfängnisverhütung eher für "unsicher" halten, unmöglich ein "sicherer" Schutz gegen Aids-Viren sein können.

Dabei gibt es ja auch andere Ansätze: "Ich halte weiterhin die Rückkehr zu unseren bewährten Traditionen hoch, die zur Treue ermutigten und vor- und außereheliche sexuelle Beziehungen ablehnen. Ich glaube, dass die beste Antwort auf die Bedrohung AIDS und andere, durch die Sexualität übertragene Krankheiten, die ist, öffentlich die Achtung, die jeder Mensch seinem Nachbarn schuldet, neu zu bekräftigen. Wir müssen jungen Menschen die Tugend der Enthaltung, der Selbstkontrolle, der Fähigkeit zu warten, Opfer zu bringen beibringen."(14)

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, auch das ist kein katholisches Moralgetue und es ist auch kein Zitat von Papst Johannes Paul II.; nein, so hat sich Ugandas Präsident Museveni schon 1992 auf dem Welt-Aids-Kongress in Florenz zu Wort gemeldet und dazu passt, dass es in diesem Jahr in Uganda eine große Anzeigenkampagne für eheliche Treue gibt.(15)

Diese Informationen finden Sie aber in kaum einer Zeitung. Warum? Weil sie bei uns nicht gefragt sind, weil sie nicht in unser Weltbild passen, weil wir sie nicht hören wollen.(16)

Doch: "wer nicht hören will, muss fühlen", sagt ein altes Sprichwort und deshalb sollten Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, vor allem im Bereich der Gentechnologie die Ohren weit offen halten, ein Bereich, der nicht nur für die Zukunft jedes einzelnen von Ihnen von fundamentaler Bedeutung ist, sondern in dem Sie so oder so, aktiv oder durch Ihre Passivität, mit entscheiden, ob es für die Menschheit demnächst eine "schöne neue Welt" geben wird.(17)

Um Ihnen die Brisanz dieser Frage bewusst zu machen, zitiere ich wie schon im vergangenen Jahr die Bemerkung des Hauptgeschäftsführers der Bundesärztekammer Professor Fuchs, dessen Kinder bei uns Abitur gemacht haben: "Es soll in Deutschland keiner mehr sagen können, die Gesellschaft habe nicht gewusst, worum es geht."(18)

Die Gentechnologie wirft - zugeben – nicht ganz einfache Fragen auf und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Anstrengungsbereitschaft sinkt und das Interesse der Menschen verflacht(19); doch sind die Fragen auch nicht so kompliziert, dass sich Abiturienten nicht eine eigene begründete Meinung bilden könnten - wenn Sie hinhören und z.B. die vielfältigen Informationsmöglichkeiten des Internet nutzen.

Achten Sie aber wieder nicht darauf, wer etwas sagt, sondern hören Sie, was gesagt wird.

Es sollte Sie z.B. hellhörig machen, dass die politische Diskussion bei uns letztlich erst begonnen hat, nachdem Premierminister Tony Blair erklärt hatte, der Markt für therapeutisches Klonen sei "allein in Europa etwa 100 Milliarden Dollar schwer."(20)

Entsprechend hat auch Bundeskanzler Schröder zunächst unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten argumentiert(21) und eine Diskussion "ohne ideologische Scheuklappen" gefordert. Als er Widerspruch wahrnehmen musste, hat er gereizt reagiert und die Keule herausgeholt: "Ich sehe die Gefahr, dass die Diskussion emotional beeinflusst wird von einem Bündnis zwischen Fortschrittsfeindlichkeit in unserer Gesellschaft und konservativem Fundamentalismus."(22)

Wer sollte es jetzt noch wagen Gegenposition zu beziehen? Wer will sich schon dem Vorwurf aussetzen, nicht rational, sondern emotional zu diskutieren, fortschrittsfeindlich zu sein oder konservativ oder gar Fundamentalist?(23)

Als aber selbst das nichts half, kam das Argument der Arbeitsplätze; dann sprach er vom ethischen Anspruch auf Arbeit und jetzt sind wir bei der "Ethik des Heilens" angekommen.

Es sollte Sie hellhörig machen, dass der Ministerpräsident unseres Landes zur selben Zeit, als der Deutsche Bundestag in Berlin über diese Fragen diskutierte, in Israel über den Import von Stammzellen für Forschungen an der Uni Bonn gesprochen hat.

Auf eine kritische Frage antwortete er im Fernsehen gereizt: angesichts der Globalisierung der Forschung "hört der Spaß jetzt aber auf!"

Ich frage mich: Wie ernst nimmt unser Ministerpräsident die ethische Diskussion, wenn der Spaß aufhören muss? Wie ernst nimmt er das vom Volk gewählte Parlament?

Doch weil die Kritik – auch aus den eigenen Reihen(24) – nicht verstummt, hat auch er die Taktik geändert und deutet die Forschung an embryonalen Stammzellen nun gar als einen Akt christlicher Nächstenliebe.(25) Dabei stellt Herr Clement "Das Schutzbedürfnis schwer kranker Menschen gegen das Schutzbedürfnis künstlich befruchteter humaner Eizellen, die nicht bestimmt sind, zu einem Menschen zu werden." Und verweist darauf, "dass die aus ihnen gewonnenen Stammzellen eben keine Embryonen mehr seien."

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
schon oft ist darauf hingewiesen worden, dass Begriffe wie "verbrauchende Embryonenforschung", "therapeutisches Klonen" und "Präimplantationsdiagnostik" verschleiern, dass es um eine Lizenz für das Selektieren und Töten von Embryonen geht; doch entlarvender als bei Herrn Clement kann Sprache eigentlich nicht mehr sein: unser Ministerpräsident stellt gegen das Schutzbedürfnis schwer kranker Menschen das Schutzbedürfnis "künstlich befruchteter humaner Eizellen, die nicht bestimmt sind, zu einem Menschen zu werden." Und verweist darauf, "dass die aus ihnen gewonnenen Stammzellen eben keine Embryonen mehr seien.

Warum sind es denn keine Embryonen mehr? Und wer entscheidet, welche künstlich befruchteten humanen Eizellen nicht dazu bestimmt sind, zu einem Menschen zu werden? Stimmt es denn überhaupt, dass eine befruchtete humane Eizelle kein Mensch ist, sondern es erst noch werden muss?(26)

"Brüder, seid nüchtern und wachsam", heißt es im 1. Petrus-Brief. Dieser Satz ist so aktuell wie eh und je, liebe Abiturientinnen und Abiturienten. Seien Sie nüchtern und wachsam, "wenn jemand in unseren Genen experimentiert und uns nichts als Vorteile von dieser Forschung verspricht"(27); denn – um noch einmal Helmut Schmidt zu zitieren - "eine Politik ohne Grundwerte ist zwangsläufig gewissenlos, sie ist eine Politik der moralischen Beliebigkeit und tendiert zum Verbrechen."(28)

Den neuen Heilsversprechungen der Wissenschaft sollten wir immer wieder die Vision von Heinrich Böll entgegenhalten: "Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache; und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen."(29)

"Leben steht über Kommerz", hat Bundespräsident Rau formuliert.(30) Dafür sollten wir gemeinsam streiten mit den erfreulich zahlreichen Gruppierungen, die sich innerhalb und außerhalb der Kirche zu Wort melden.(31) Wir dürfen das Feld nicht Nobelpreisträgern überlassen, die uns einreden wollen, "warum wir Gott nicht mehr die Zukunft des Menschen überlassen können."(32)

In der Papstbiografie von Jan Roß, der sich selbst als "nicht katholisch" bezeichnet, heißt es: "Man kann darüber streiten, wie wahrscheinlich es ist, daß alles wirklich so schlimm kommt. Schwerlich bestreiten kann man, daß die Lebensschutzphilosophie des Papstes die einzige weit und breit darstellt, die auf diese Herausforderungen eine schlüssige Antwort bietet. Sie ist eine Oase der Konsequenz in einer Wüste der Heuchelei."(33)

Und deshalb möchte ich Ihnen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, abschließend ein Wort unseres Papstes mit auf den Weg geben:

"Gebt acht! Euer Leben ist kein endloser Tag der offenen Tür! Hört in euer Herz hinein! Begnügt euch nicht mit der Oberfläche, sondern geht den Dingen auf den Grund! Und wenn es Zeit ist, habt den Mut, euch zu entscheiden. Der Herr wartet auf euch, daß ihr eure Freiheit in seine guten Hände legt."(34)

Gott schütze und begleite Sie auf Ihrem weiteren Lebensweg.




(1)Unzulässig und nicht ungefährlich ist es, "Aktionen gegen Rechtsextremismus" oder "gegen rechte Gewalt" sprachlich zu verkürzen auf "Aktionen gegen rechts"; denn es gibt auch "Linksextremismus" und "linke Gewalt" und Gewalt von so genannten "autonomen" Gruppen. Sonst besteht die Gefahr, dass man zu unterscheiden beginnt zwischen guter und schlechter Gewalt. Jede Form von Gewalt gilt es zu bekämpfen. Vgl. dazu Ernst Cramer in: DIE WELT vom 11.11.00 zum Berliner Demonstrationszug am 9. November 2000.: "Und doch war diese Veranstaltung nicht ganz frei von Intoleranz. Nicht wenigen in der Menge ging es nicht nur um Rechtsextremismus; sie waren vielmehr ganz einfach gegen alles, was konservativ, also "rechts" ist. Das wurde nicht nur einmal deutlich, durch Pfiffe ebenso wie durch Beifall. Auf einem mitgeführten Plakat stand ganz oben "Ruck nach links", und viele stimmten zu. Das aber ist ein falsches Signal. Gegen jeden politischen Radikalismus, nur das darf die Parole sein."
(2)"Alles falsche Handeln beginnt bei falschem Denken." Kardinal Meisner am 6.3.01 in einer Predigt bei der Deutschen Bischofskonferenz; zitiert in: Die Tagespost vom 9.3.00
(3)"In der Liebe wie in der Solidarität durchbricht der Mensch die Festung seiner Ich-Bezogenheit. Wer nicht über die Grenzen seiner individuellen Existenz hinausdenken kann, der wird nie erkennen, warum Kinder eine Bereicherung des Lebens sind. Wenn jeder nur für sich lebt, entsteht eine neue Eiszeit der Einsamkeit. Wer niemanden braucht, der wird auch selber nicht gebraucht. [...] Wenn nur noch Nutzenmaximierung gilt, wird das Leben anstrengend, grau und eintönig. Jede Lebensäußerung, jede Bindung muss einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden. Treue, Loyalität, Vertrauen haben in dieser "kalkulierten Gesellschaft" keinen Platz. Egoismus macht jedoch traurig [...] Liebe gelingt eben nicht mit einer permanenten Vorteilskalkulation, und der flexible Mensch [...] ist in Gefahr, sich selbst zu verlieren, weil er dem dauerhaften Zwang ausgesetzt wird, alle Optionen auch zu nutzen. [...] Nur nichts verpassen, und nirgendwo verweilen. Nur nichts Dauerhaftes." Norbert Blüm in: Die Tagespost vom 23.12.98
(4)Artikel 14 des Grundgesetzes "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen" kann sicher analog auch auf das geistige Eigentum übertragen werden.
(5)"Die Zukunft ist weit offen. Sie hängt von uns ab; von uns allen. Sie hängt davon ab, was wir und viele andere Menschen tun und tun werden; heute und morgen und übermorgen. Und was wir tun und tun werden, das hängt wiederum von unserem Denken ab; und von unseren Wünschen, unseren Hoffnungen, unseren Befürchtungen. Es hängt davon ab, wie wir die Welt sehen; und wie wir die weit offenen Möglichkeiten der Zukunft beurteilen. Das bedeutet für uns alle eine große Verantwortung." Karl Popper, Alles Leben ist Problemlösen, München 1994, S. 239
(6)Text einer aktuellen Bierwerbung. Vgl. dazu K. Rüdiger Durth, in: Kölnische Rundschau vom 11.11.00: "Die ‚Spaßgesellschaft' zählt zu den neuen Modeworten, das uns ein Leben vorgaukeln soll, in dem sich alles um das Ich dreht und in dem kein Platz für Probleme ist. Dass die Wirklichkeit anders aussieht, wissen wir. [...] Nur wer den Tod nicht aus seinem Denken und Handeln verbannt, wird klug für den Alltag. Denn wer vom Ende her denkt, setzt andere Prioritäten, sucht nach einem Grund für sein Leben, der auch in der Stunde des Todes nicht nachgibt."
(7)H. Schmidt, Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral. Deutschland vor dem neuen Jahrhundert, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 3. Aufl. 1998, S. 28
(8)a.a.O. S. 29
(9)vgl. auch den Kommentar von Dieter Breuers in der Kölnischen Rundschau vom 16.9.00: "Wer eigentlich hat so lange gepredigt, dass Gewalt gegen Sachen erlaubt sei, bis endlich Blut floss? Wer hat einst die Gewalt enttabuisiert mit dem Slogan "Macht kaputt, was Euch kaputt macht"? Mag sein, dass die Bundesrepublik der Nachkriegszeit in den 50-er und 60-er Jahren auf junge Menschen ziemlich verstaubt und verschlafen wirkte, aber die Menschen damals waren Krieg und Terror satt, als plötzlich die 68-er Bewegung entstand und für sich und alle anderen Bürger entschied, dass Gewalt von links stets gut, Gewalt von Seiten des Staates dagegen in jedem Fall schlecht zu sein hatte. Folglich wurden Staat und Justiz so lange diskriminiert, bis schließlich jeder, der Recht und Gesetz durchsetzen wollte, als "Law-and-order-Sheriff" bezeichnet und lächerlich gemacht wurde. Es sind die gleichen Studenten, die damals Molotow-Cocktails warfen, die heute als Richter fungieren und nun mit ansehen müssen, welche Saat nach Zertrümmerung der Autoritäten da aufgegangen ist. Das gilt übrigens auch für die heutige Bundesjustizministerin. Als Abgeordnete hatte sie seinerzeit gefordert, dass gewaltsame Blockaden militärischer und ziviler Einrichtungen straffrei bleiben müssten."
(10)Verfassungsschutzbericht 2000, zitiert nach: Kölnische Rundschau vom 18.6.2001. Man stelle sich folgendes Szenario vor: eine Partei, die vom Verfassungsschutz auf ihre linksextremistischen Bestrebungen hin beobachtet wird, wird an der Regierung beteiligt und sorgt dann selbst dafür, dass sie nicht mehr beobachtet wird!
(11)Vgl. Susanne Mayer "Die betrogene Familie - Demografischer Irrsinn: Die Regierung hat die Kinder vergessen", in: DIE ZEIT 06/2001: "Alle wissen, dass es die Kinderarmut ist, die unser Sozialsystem unterhöhlen wird. In Deutschland werden Hunderttausende von Menschen zu wenig geboren. Wer soll einst für die Älteren sorgen? Woher sollen die Ärzte, die Ingenieure, die Wissenschaftler, die Lehrer und Computerfachleute kommen, um unserem Land eine Zukunft zu geben? Aus dem Internet? Wollen wir nur noch Fachkräfte aus der Dritten Welt abwerben? Kindermangel bedroht die Substanz des Staates. Und wieder hat es die Regierung versäumt, eine jahrzehntealte Politik der Familienverachtung grundsätzlich zu korrigieren. Sie hat sich nicht zu sagen getraut, dass jede Rente schon heute viel zu hoch ist, aufgebläht durch Summen, die eigentlich anderen zustehen - Eltern nämlich, deren Tätigkeit in Haushalt und Kindererziehung spätere Erwerbsarbeit überhaupt erst ermöglicht, die zum Rentenbezug berechtigt. Womöglich haben die Herren Fraktionsvorsitzenden auch nur darauf gewartet, dass die Frauen- und Familienministerin Christine Bergmann einmal zum Mikrofon geht und dem hohen Haus zuruft, was die offenbar kinderlosen Abgeordneten nicht wissen: dass die Erziehung zweier Kinder viele Jahre dauert und ein aktiver Beitrag zur Rentenversicherung ist, der genauso viel zählt wie eine Berufstätigkeit! [...] Die Familien- und Rentenpolitiker im Bundestag sind uns zuletzt nur noch als Rechenkünstler oder als Demagogen aufgefallen. Derweil ist der Notfall eingetreten: Immer mehr Frauen und Männer bekommen einfach keine Kinder mehr. Weil alles dagegen spricht, die Ausbildung, der Beruf, der Stress, die Steuer, natürlich das Risiko der Rentenminderung für die Mütter. Als Argument für Kinder bleibt allein das Glück, das wirkliche große Glück, Eltern zu sein. Und das gilt bei uns, wie eine Luxusreise, inzwischen als eine Form von Konsum. Verächtlicher kann man Kinder nicht einstufen."
(12)Maria Eichhorn, familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in: Die Tagespost vom 2.12.00: "Im Jahr 2050 wird die Zahl der Geburten von heute 770.000 auf 500.000 sinken. Die Gesamtbevölkerung wird sich von heute 82 Millionen selbst bei einer jährlichen Zuwanderung von 100.000 Bürgern um 21 Prozent auf 65 Millionen reduzieren. Aufgrund der gleichzeitig steigenden Lebenserwartung verschiebt sich das Verhältnis von alten zu jungen Menschen immer mehr. Kommen heute auf zehn Personen im Erwerbsalter vier Rentner, sind es 2050 schon acht. [...] Die demographische Entwicklung führt in allen Lebensbereichen zu erheblichen Veränderungen, die das gesellschaftliche Gleichgewicht empfindlich stören werden." Vgl. dazu Bernward Büchner, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Freiburg und Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e.V. mit Sitz in Köln, in: Die Tagespost vom 1.12.00: "Danach ( Statistisches Bundesamt) ging die jeweils für die alten und neuen Bundesländer registrierte Gesamtzahl der Abtreibungen von gut 111.000 im Jahr 1993 in den beiden Folgejahren auf 103.586 beziehungsweise 97.937 zurück, nahm dann jedoch im Jahr nach der Gesetzesnovelle mit 130.899 sehr deutlich auf ein Niveau zu, das von 1996 bis zum Jahr 1999 fast konstant blieb und stets deutlich über 130.000 lag."
(13)"Der Protest des Vatikans gegen globale Geburtenkontrolle findet ein Echo bei jenen Dritte-Welt-Aktivisten, die in der Bevölkerungsplanung westlichen Imperialismus vermuten. In ihren Augen wollen die Reichen lieber die Zahl der Esser am Tisch kleinhalten als etwas von ihren Tellern abzugeben, sie möchten den Energieverbrauch auf der Südhalbkugel durch Bevölkerungspolitik drosseln, um selbst weiter nach Herzenslust Auto fahren zu können." - Jan Roß (Redakteur "DIE ZEIT"), Der Papst. Johannes Paul II. – Drama und Geheimnis. Alexander Fest Verlag 2001, S. 15. Vgl. auch S. 151: "Wenn er sich gegen Geburtenkontrollprogramme für die Entwicklungsländer wendet, legt der Papst auf diesen Punkt stets besonderen Nachdruck: Daß da von Staats wegen, generalstabsmäßig geplant durch internationale Organisationen und letztlich auf Druck des wohlhabenden Nordens, in die ureigensten Belange von Völkern und Familien hineinregiert wird. Die Pille für die Armen dient nicht ihrer Befreiung, sondern der Unterwerfung unter das Wertsystem und die Bequemlichkeitsbedürfnisse der Reichen."
(14)Zitiert nach: Die Tagespost vom 28.4.2001
(15)vgl. Die Tagespost vom 19.5.2001
(16)Auch davon hat man kaum gehört: "Großbritannien startet eine Kampagne für Jungfräulichkeit. London, 10.10.2000. (ALfA) "Jungfräulichkeit ist o.k." lautet die Beschwörungsformel des britischen Labour-Gesundheitsministeriums gegen Teenagerschwangerschaften. 60 Millionen Pfund kostet die Kampagne, die sich vor allem an Mädchen richtet. Großbritannien hat mit 90 000 Schwangeren unter 19 Jahren die höchste Zahl der Teenagerschwangerschaften in Europa. In Frankreich und Deutschland werden pro Jahr 10 000 minderjährige Mädchen schwanger." (http://www.nrz.de/free/nrz.artikel000.html?news_id=1185385) (17)"Der Grundgedanke der genetischen Selektion [...], dieses "Nichts-mehr-dem-Schicksal-überlassen-Wollen" [...] wird zu einer natürlichen Ausmerzung aller Anomalien führen. Wir sind auf dem direkten Weg zum "qualitätsgesicherten Kind." Montgomery, Dr. med. Frank Ulrich: Schöne Neue Welt: Muss man alles machen, was man kann?, Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 18 vom 05.05.00, Seite A-1198 [POLITIK: Kommentar], zitiert nach: ALfA-Newsletter vom 11.05.2000
(18)in: Rheinischer Merkur Nr. 9/2000
(19)"Der medizinische Fortschrittsglaube gebiert alte Fragen der Ethik. Der Bundestag muss sich kundig machen. Und wieder einmal rächt sich, dass er nicht das Plenum ist, in dem berühmte Ärzte und bedeutende Naturwissenschaftler, geschweige denn Philosophen und Geisteswissenschaftler als wissende Abgeordnete miteinander debattieren." Der ehemalige Bundesminister Friedrich Naumann, in: DIE ZEIT 8/2001 (20)Zitiert nach: Die Tagespost vom 23.12.00, S. 2. Vgl. auch Frankfurter Rundschau vom 16.1.01: "Mit der Schröder-Frau Ulla Schmidt wird nun im Gesundheitsministerium aufgeräumt - inhaltlich wie personell. Als Englands Premier Tony Blair vor einigen Wochen den europäischen Spitzenplatz in der Gentechnik reklamierte und die Briten das "therapeutische Klonen" in Angriff nahmen, hatte Gerhard Schröder wohl sein Damaskus-Erlebnis. Die Weichen werden nun endgültig neu gestellt. Vorrang für Forschung und Wirtschaft wird die Parole lauten. Die Restriktionen und Nachdenklichkeiten einer Andrea Fischer passten den fortschrittsgläubigen Sozis sowieso nicht ins eindimensionale Konzept. Die SPD geht einen anderen Weg. Die "Keine Scheuklappen"-Signale des Kanzlers, die dubiosen Embryo-Thesen des Kulturstaatsministers Nida-Ruemelin und die blauäugigen Forschungshoffnungen der Enquetevorsitzenden von Renesse zeigen den Kurswechsel an. Ironie der Geschichte: Die Grünen haben dies erst möglich und sich damit unmöglich gemacht."
(21)"Währenddessen verkündet Bundeskanzler Schröder in der Katholischen Akademie zu Berlin, dass ohne einen Spitzenplatz in der Biotechnik die Potenziale unserer Wirtschaft nicht ausgeschöpft werden könnten. Da weiß der von ihm initiierte Ethik-Beirat ja schon, wohin die Reise gehen soll, auch wenn er jetzt bei der Akademie der Wissenschaften Berlin-Brandenburg angesiedelt ist. Unterdessen produziert der wissenschaftliche Fortschritt in rasendem Tempo Ergebnisse, und der Gesetzgeber wird sich bald nur noch um die Gebührenordnung kümmern können, weil alles andere sich von allein geregelt hat. In Fragen der Biotechnik ist diese Regierung erfolgreich dabei, den Wandel vom Primaten zum Pragmaten vorzuführen - bis die Verfassungsrichter kommen." In: DIE WELT online Erscheinungsdatum: 07. 04. 2001
(22)ALfA Newsletter vom 16.1.01: "Die jetzt vollzogene Kehrtwende hatte sich bereits vor einigen Tage gezeichnet. In einem Interview für den "Stern" hatte Bundeskanzler Gerhard Schroeder (SPD), auf die Frage, "Darf man töten, um..." mit den Worten reagiert: "Ich würde bitten, bei diesem schwierigen Gebiet von so plakativen Begriffen wegzukommen. Ich verstehe die Kritik derer, die mir jetzt mit hehrer Moral kommen, nicht. Ich sehe die Gefahr, dass die Diskussion emotional beeinflusst wird von einem Bündnis zwischen Fortschrittsfeindlichkeit in unserer Gesellschaft und konservativem Fundamentalismus. Was wir brauchen, ist eine vernünftige Balance zwischen der ökonomischen Nutzbarkeit und ethischen Verantwortbarkeit."
(23)"Und was den Fundamentalismus angeht, so dient er mittlerweile als Totschlagvokabel, als Verbalkeule, die nicht nur (zu Recht) den trifft, der anderen seine Überzeugungen aufzwingen will, sondern auch (zu Unrecht) den, der überhaut welche hat." – Jan Roß, a.a.O. S. 215
(24)Vgl. z.B. Süddeutsche Zeitung vom 18.6.01: "In der SPD-Spitze nimmt der Konflikt um die Haltung zur Gentechnik an Schärfe zu. Die für diesen Montag im SPD-Präsidium geplante Debatte über diese Frage soll nach Informationen der Süddeutschen Zeitung nicht stattfinden. Hintergrund sind die anhaltenden Meinungsverschiedenheiten zwischen führenden Sozialdemokraten, die am Wochenende erneut deutlich wurden."
(25)Vgl. Kölnische Rundschau vom 11.6.2001
(26)Auch an Fronleichnam 2001 hat Kardinal Meisner noch einmal deutlich Stellung bezogen. Vgl. Kölnische Rundschau vom 15.6.01: "Meisner machte in seiner Predigt klar, wo und wann im Sinne des Christen das menschliche Leben ‚mit all seiner Würde und seinen Rechten' beginnt. Nämlich ‚vom ersten Augenblick an, da männliche Samenzelle und weibliche Eizelle sich vereinen.' Dabei sei es egal, ob dies ‚außerhalb oder innerhalb des mütterlichen Organismus' geschieht." – Und es heißt weiter: "Zustimmendes Nicken fand sich in allen Reihen der Gottesdienstbesucher auf dem Roncalli-Platz und in einigen Ecken klatschten Begeisterte sogar Applaus."
(27)"Ich glaube zwar nicht an einen alten Mann mit einem weißen Bart, doch wenn jemand in unseren Genen experimentiert und uns nichts als Vorteile von dieser Forschung verspricht, finde ich das sehr verdächtig." – Neil Postmann, Professor für Medienökologie in New York zur Frage, ob er ein religiöses Mensch sei. Zitiert nach: KIZ 18.5.01 S.5
(28)H. Schmidt, a.a.O. S.42. Vgl. dazu auch Albert Camus: "An dem Tag, an dem das Verbrechen sich mit dem Bann der Unschuld umgibt, wird durch eine seltsame Verkehrung, die für unsere Zeit typisch ist, die Unschuld gezwungen sein, sich zu rechtfertigen." - Zitiert nach: Aktion Lebensrecht für Alle (AlfA), Rundschreiben 12/98
(29)zitiert nach: H. Staudinger, in: Die Tagespost vom 10.2.01 S. 12
(30)Berliner Rede vom 18.05.2001. Vgl. dazu auch Kirchenzeitung für das Erzbistum Köln vom 15.12.00, S. 5: "Der Genforscher Andre Rosenthal räumt ein: ‚Es besteht die Gefahr, dass die Gesellschaft anfängt, durch ökonomischen Druck Menschen auszusieben. Daraus kann sich eine schleichende Eugenik entwickeln.' [...] So kommt der Abschied von der Solidargemeinschaft, das bewusste Bestrafen der Ausgegrenzten, eine Totalniederlage der Ethik und der Sieg des Denkens nach Profit und genetischen Kasten, das Trugbild vom perfekten Menschen."
(31)"Aufruf gegen die Verroh(stofflich)ung des Menschen" Abgedruckt in der Frankfurter Rundschau am 2.1.01: "Wir, eine Reihe von Sachverständigen der Enquête-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" des Deutschen Bundestages, rufen auf diesem Wege die bundesrepublikanische Öffentlichkeit, den Bundestag und die Bundesregierung auf, ihre Missbilligung dieser moralischen Grenzüberschreitung zum Ausdruck zu bringen, einer möglichen Ausweitung des "therapeutischen Klonens" auf die Bundesrepublik einen Riegel vorzuschieben und sich in den Organisationen der Europäischen Union und des Europarates für eine Ächtung des Klonens einzusetzen, und zwar sowohl des "reproduktiven" wie auch des so genannten therapeutischen Klonens. Gegen das so genannte therapeutische Klonen, das nichts anderes ist als eine Verrohstofflichung menschlicher Embryonen, sprechen u. E. folgende Argumente[...]Eine gezielte Herstellung menschlicher Embryonen zum Zwecke der Verwertung bedeutet daher nicht nur eine Verrohstofflichung von Embryonen, sondern auch eine weitreichende und folgenschwere Veränderung des Selbstverständnisses des Menschen. [...]
(32)Nobelpreisträger D. Watson in der FAZ vom 26.9.00 ( Untertitel "Warum wir Gott nicht mehr die Zukunft des Menschen überlassen können."
(33)Jan Roß, a.a.O. S. 174. Vgl. dazu auch S. 186: "Johannes Paul II. redet zu den Leuten von Dingen, über die kein anderer etwas sagt, vor allem aber in einem Ton, in dem sonst niemand mit ihnen spricht. [...] Da können die Gerhard Schröders dieser Welt noch so laut im dunklen Wald singen und sich und die anderen dazu beglückwünschen, daß es mit dem Überschwang der Visionen vorbei ist und die Epoche eines gesunden Pragmatismus anbricht. Es will und will einfach nicht stimmen, Leere bleibt Leere, Mittelmaß Mittelmaß, und der moralische Superschwergewichtler Johannes Paul II. bringt es an den Tag."
(34)Johannes Paul II. zu den Messdienern bei der Heiligsprechung von Edith Stein am 11.10.98 in Rom


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