Verabschiedung der Abiturientia 2004
des Erzbischöflichen St. Ursula-Gymnasiums in Brühl
am 26. Juni 2004

Ansprache von OStD i.K. Werner Otte




Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,

bevor Ihre Schulzeit gleich unwiderruflich zu Ende geht, gratuliere ich Ihnen – auch im Namen unseres Lehrerkollegiums – ganz herzlich zu Ihrem Erfolg. Ich möchte Sie aber nicht gehen lassen, ohne Ihnen noch einmal zu sagen, dass Sie ein ausgesprochen guter Jahrgang sind. Als Maßstab für dieses Urteil nehme ich den Kölner Stadtanzeiger, den Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger (1) und den früheren Bundeskanzler Helmut Schmidt. (2)

Am 5. Juli des vergangenen Jahres stellte der Stadtanzeiger unter der Überschrift "Zu wenig Zeit zum Pauken" fest, dass "die Zahl der Schüler im Erftkreis, die am Abitur scheitern, steigt". Aufhänger für den Artikel war das Motto der Homepage, die die Abiturienten eines Gymnasiums angefertigt hatten: "Nix getan und trotzdem geschafft". (3)

Auch wenn man diesen Satz nicht überbewerten sollte, klingt doch eine Haltung an, die viele Schulleiter bei den Oberstufenschülern beklagen. Viele lernen zu wenig für die Schule und jobben zu viel für ihren Lebensstandard. Das Ergebnis ist z.T. erschreckend: in einem der angeführten Gymnasien waren 141 Schüler in der Jahrgangstufe 11 gestartet, davon nahmen nur noch 109 an der Abiturprüfung teil und davon haben nur 99 die Prüfung bestanden (= 70%). In einem anderen Gymnasium haben von 130 Schülern nur 96 das Abiturzeugnis bekommen (= 74%).

Zum Vergleich die Zahlen bei uns: 123 sind in der Jahrgangsstufe 11 gestartet und von diesen erhalten heute 110 das Abiturzeugnis (= 89%). (4)

Auch der Blick auf Teilbereiche wie z.B. auf die Ergebnisse der mündlichen Prüfungen im 4. Fach bestätigt, dass der Satz "Nix getan und trotzdem geschafft" auf den größten Teil von Ihnen nicht zutrifft. Die Durchschnittsnote aller Prüfungen liegt nämlich bei 10 Punkten, also bei der Note 2m und eine solche Durchschnittsnote ist bei uns keinesfalls durch Nichts-Tun zu erreichen. Dass Sie fleißig gewesen sind, wird noch deutlicher, wenn man weiß, dass 56% von Ihnen im 4. Fach die Noten 1 und 2 erreicht haben, 38% die Note "sehr gut" und 14% sogar die Note "sehr gut plus". Das aber heißt konkret: 17 Schülerinnen und Schüler haben Leistungen gezeigt, von denen die Prüfungskommission überzeugt war, dass es nicht besser geht! Bei Ihnen müsste die Überschrift also lauten: viel getan und viel erreicht.

"Viel erreicht" haben aber nicht nur die mit dem besten Notendurchschnitt. Sie werden wir gleich zu Recht auszeichnen. Viel erreicht hat z.B. auch Pia Wojtinnek, die wahrscheinlich die jüngste Abiturientin unserer Schule ist. Da sie die 1. und 4. Klasse der Grundschule und die 7. Klasse des Gymnasiums übersprungen hat, bekommt sie das Abiturzeugnis mit nur 16 Jahren. Daneben hat sie erfolgreich am Projekt "Schüler an der Universität" teilgenommen (5), hat "nebenbei" im Rahmen der Mathematik-Olympiade am Landeswettbewerb teilgenommen und extern das Latinum erworben. Eine stolze Bilanz.

"Viel erreicht" hat auch Anna Kurbanow, der vor 4½ Jahren aus Turkmenistan nach Deutschland gekommen ist, kein einziges Wort Deutsch konnte und nun die Abiturprüfung bestanden hat, in Musik sogar mit der Note 1p. Ich habe an dieser Prüfung teilgenommen und habe nicht nur da erlebt, dass Integration gelingen kann, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Aufnahmebereitschaft und Unterstützung auf der einen Seite, Integrationswille und Anstrengungsbereitschaft auf der anderen Seite. Beides ist in diesem Falle in glücklichster Weise gelungen, nicht zuletzt dank unserer ehemaligen Kollegin Frau Willer, die sich ganz intensiv und ehrenamtlich um die Deutschkenntnisse von Anna gekümmert hat.

"Viel erreicht" haben auch die 10 Schülerinnen und Schüler, die nach der 10. Klasse der Realschule zu uns in die gymnasiale Oberstufe gekommen sind. Trotz der großen Umstellung, die ein Wechsel der Schulform zwangsläufig mit sich bringt, haben sie durchgehalten, viel getan und viel erreicht - Simone Hehl z.B. einen Notendurchschnitt von 2,2. Ein herzlicher Glückwunsch an Sie alle!

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
Sie sind ein ausgesprochen guter Jahrgang. Dieses Urteil hält auch einer Überprüfung durch den Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger stand. Er schreibt: "Ich fände es überaus angenehm, wenn die Bevölkerung der Bundesrepublik, unter Einschluß aller Politiker, Manager und Journalisten, in der Lage wäre, deutsch zu sprechen und womöglich sogar zu schreiben. Es gefiele mir, wenn Kinder und Erwachsene mehr wüssten, als sie wissen, wenn ihre Fähigkeiten und Begabungen nicht, wie üblich, vor die Hunde gingen; mit einem Wort, wenn jeder könnte, was er könnte. Ja, ich möchte noch weiter gehen und behaupten: Unsere freiheitlich demokratische Grundordnung wäre nicht einmal dann bedroht, wenn es zu einem plötzlichen Ausbruch von guten Manieren käme." (6)

Meine Hinweise auf die Ergebnisse der mündlichen Prüfungen haben schon deutlich gemacht, dass Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, - ohne im Einzelfall gewisse Defizite leugnen zu wollen - die Deutsche Sprache in Wort und Schrift recht ordentlich beherrschen. Daher brauche ich darauf nicht weiter einzugehen und sehe die Bedingung als weitgehend erfüllt an.

Der zweite Wunsch von Enzensberger ist mir nämlich wichtiger: "Es gefiele mir, wenn Kinder und Erwachsene mehr wüssten, als sie wissen, wenn ihre Fähigkeiten und Begabungen nicht, wie üblich, vor die Hunde gingen; mit einem Wort, wenn jeder könnte, was er könnte."

Natürlich könnte jeder von uns Anwesenden grundsätzlich mehr wissen, als er weiß, und nicht jeder von uns kann alles, was er könnte; doch bin ich davon überzeugt, dass an unserem Gymnasium weder bei Schülern noch bei Lehrern Begabungen – "wie üblich" – vor die Hunde gehen. Im Gegenteil, unser Schullogo "Impulse geben für das Leben" weist die Richtung: Wir wollen Begabungen entdecken, fördern und fruchtbar machen, und das in möglichst vielen Bereichen.

Wie viele Begabungen sind bei Ihnen in den vergangenen Jahren nicht nur in den Bereichen Sport, Kunst, Chemie, Musik, Theater, SV-Arbeit und Mitarbeit in der Schulkonferenz entdeckt oder gefördert und für das Schulleben fruchtbar gemacht worden – so viele, dass ich sie gar nicht auflisten kann.

Und auch beim dritten Aspekt, den guten Manieren - ich hoffe, dass ich gleich nicht von der Abiturzeitung widerlegt werde - brauchen Sie sich nicht zu verstecken.


Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
Sie sind ein ausgesprochen guter Jahrgang. Als dritten Zeugen führe ich schließlich Altbundeskanzler Helmut Schmidt an. Am 14. April schreibt er in der ZEIT: "Ich bin überzeugt, daß wir aus der Geschichte lernen können. Ich denke, aus der Geschichte des Fehlschlags der Weimarer Demokratie und aus der Geschichte der Nazis und ihrer zerstörerischen Verbrechen hat fast unser ganzes Volk tatsächlich das Notwendige gelernt. […] Die Historiker hatten in den fünfziger und sechziger Jahren einen erheblichen Anteil daran […]. Ebenso hat daran die Generation der Politiker des ersten Vierteljahrhunderts nach 1945 ein erhebliches Verdienst. […] Danach ist der Einfluss der Historiker, so will mir scheinen, etwas zurückgegangen." (7)

Daher fordert Helmut Schmidt nicht nur für zukünftige Politiker, "sie müssten die deutsche Geschichte kennen, und zwar mindestens seit der Zeit der Französischen Revolution, und sie müssten die Geschichte unserer wichtigsten Nachbarn kennen und die Geschichte der europäischen Integration."


Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
Helmut Schmidt müsste seine helle Freude haben, wenn er wüsste, welch hohen Stellenwert das Fach Geschichte an unserem Gymnasium besitzt und dass bei allen Schülern vom Anfang der Klasse 9 bis zum Ende der Stufe 12 das Fach Geschichte auf dem Stundenplan steht. Sie alle haben also mindestens 4 Jahre fortlaufenden Geschichtsunterricht erhalten, 67 haben das Fach auch in der Jahrgangsstufe 13 belegt und 59 haben Geschichte sogar als Abiturfach gewählt.

Wenn man aber ehrlich ist, muss man zugegeben, dass wir Sie zur Belegung des Faches Geschichte bis Ende 12/II gezwungen haben, um Zusatzkurse in der Stufe 13 zu vermeiden. Solche Zusatzkurse hätten nämlich zwangsläufig dazu geführt, andere Kurse zu Mammutkursen zusammenzulegen, um die erforderlichen Stunden zu gewinnen, oder neu zu blocken, was für viele von Ihnen Lehrerwechsel zu Beginn der 13 bedeutet hätte oder mehr Nachmittagsunterricht oder mehr Freistunden.

Vorausschauend haben die Verantwortlichen an unserer Schule also Ihre Wahlfreiheit an einer Stelle eingeschränkt, um Ihnen an anderen Stellen größere Freiheiten zu erhalten – verbunden mit dem Nebeneffekt, dass Sie ein Maß an Geschichtskenntnissen haben, wie es "nicht normal" sein dürfte. In historischen Kategorien denken gelernt zu haben, bewahrt aber vor bloßer und gefährlicher "Modernität". (8)

Dazu noch einmal Helmut Schmidt: "Wenn uns zum Beispiel heute Politiker empfehlen, die Türkei als Vollmitglied in die Europäische Union aufzunehmen, so fehlen ihnen oft nicht nur die geostrategischen und die demographischen Dimensionen, sondern ihnen fehlt auch die geschichtliche Kenntnis des Osmanischen Reiches bis ans Ende des Ersten Weltkrieges und aller seiner Nachfolgestaaten; ihnen fehlt auch die Geschichte des Kemalismus und seiner Garanten, nämlich des türkischen Militärs. Ähnlich unzureichend ist die Ausstattung mit historischen Kenntnissen bei denjenigen, die einen Anschluss der Ukraine an die EU empfehlen." (9)


Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
Sie sind ein ausgesprochen guter Jahrgang. Dazu haben sicher auch die guten Rahmenbedingungen beigetragen, die Sie an unserem Gymnasium vorgefunden haben. Dabei halte ich eine Rahmenbedingung für sehr wichtig und nenne sie daher an erster Stelle: wir haben Eltern, die sich für die schulische Entwicklung ihrer Kinder sehr interessieren und daher auch die Schule und die Lehrer in ihrer verantwortungsvollen Aufgabe unterstützen. Eine solche Erziehungsgemeinschaft ist die notwendige Bedingung für ein gutes Schulklima, ist aber heute längst nicht mehr selbstverständlich; denn auch in Bezug auf Schule verbreitet sich bei vielen Eltern eine Versorgungs- und Abgabementalität. (10)

Ihre Eltern dagegen haben allein durch ihre Entscheidung für eine Privatschule gezeigt, dass ihnen die Wahl der "richtigen" Schule wichtig war, und sie haben durch die regelmäßige Teilnahme an Pflegschaftssitzungen, durch die Mitarbeit in Ausschüssen, bei Schulfesten, bei Schulbällen und anderen schulischen Veranstaltungen, durch die Übernahme von Mitverantwortung in Klassen- und Jahrgangsstufenpflegschaften, in der Schulpflegschaft und in der Schulkonferenz immer wieder deutlich gemacht, dass ihnen dieses Gymnasium für ihre Kinder wichtig ist und dass sie es aktiv mitgestalten wollen. Wozu sollten auch sonst Eltern vormittags in der Bibliothek Aufsicht führen, wenn nicht um jungen Menschen zusätzliche Möglichkeiten zu eröffnen? Wozu sonst sollte sich mit Frau Römer-Moch unsere Schulpflegschaftsvorsitzende an die Spitze der Protestbewegung gegen die Kürzung der Landeszuschüsse für die privaten Schulen stellen, wenn nicht aus der Überzeugung, dass man für den Erhalt der freien Schulen im Interesse der Kinder auch politisch kämpfen müsse? Und wozu sollten so viele Eltern – z.T. über die Schulzeit der eigenen Kinder hinaus – Mitglied im Förderverein der Schule sein, wenn nicht um die finanziellen Rahmenbedingungen der Schule für die Ausbildung der Kinder zu vergrößern?

In diesem Zusammenhang weise ich auch gerne auf den Verein der Ehemaligen unseres Gymnasiums hin, der ebenfalls durch finanzielle und ideelle Beiträge unsere Möglichkeiten vergrößert, und gern bedanke ich mich auch bei Ihnen, Herr Bürgermeister, für den Zuschuss der Stadt Brühl in Höhe von jährlich 3.835 Euro. Jeder Beitrag - ob finanziell oder ideell - ist gleich wichtig und alle zusammen machen wie bei einem Mosaik das Gesamtbild aus.

Zu den guten Rahmenbedingungen zähle ich auch ausdrücklich unser Lehrerkollegium, von dem ich immer wieder aus Überzeugung sage, dass es sehr motiviert, engagiert und fleißig ist und nicht dem negativen Bild entspricht, das in der Öffentlichkeit allgemein vom Berufsstand des Lehrers gezeichnet wird. Wir alle bemühen uns um einen qualitativ guten und ansprechenden Unterricht, stehen neuen didaktischen und methodischen Entwicklungen kritisch, aber grundsätzlich offen gegenüber und haben den Erziehungsauftrag der Schule nie aufgegeben. Dies schließt ein, dass wir uns über den Unterricht hinaus für unsere Schüler einsetzen. Dies zeigt sich in der großen Bereitschaft, Exkursionen und mehrtägige Klassen- und Studienfahrten durchzuführen sowie Seminare, Tage religiöser Orientierung, Sozialpraktika, Veranstaltungen zur Berufsinformation und vieles mehr. Dabei setzt unser Kollegium auch viel Freizeit ein, für die es weder eine finanzielle Vergütung noch einen Freizeitausgleich gibt. Das Interesse der Schülerinnen und Schüler ist unser Lohn und neue Motivation, aber auch das ein oder andere Wort der Anerkennung und des Dankes.

Alle genannten Faktoren tragen sicher dazu bei, dass die Nachfrage nach unserem Gymnasium nach wie vor sehr groß ist und dies wiederum ist die Voraussetzung für die guten Rahmenbedingungen in Bezug auf den Unterricht, den Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, noch genießen durften. Schon nach den Sommerferien wird es aufgrund politischer Entscheidungen deutlich schlechter werden. (11)

Zu den guten Rahmenbedingen rechne ich schließlich auch, dass wir eine katholische Schule sind, dass Eltern, Schüler und Lehrer ein gemeinsamer Grundkonsens verbindet, der Glaube an Gott und seine Menschenfreundlichkeit. Daher gehören zu unserem Gymnasium selbstverständlich die Kreuze in jedem Raum, die Sie an die Menschenfreundlichkeit Gottes über die gesamte Schulzeit erinnert haben, die regelmäßigen Schulgottesdienste, an denen Sie sich leider viel zu wenig beteiligt haben, die Besinnungen am Anfang der Lehrerkonferenzen und vor den Sitzungen der Schulpflegschaft, Schulgemeindemessen, an denen sich auch die Eltern und Lehrer zu wenig beteiligt haben, und am Beginn der Abiturfeiern der Dankgottesdienst, der gezeigt hat, was in den vergangenen Jahren an religiöser Substanz verdeckt geblieben ist und wie sehr wir uns gegenseitig im Glauben hätten stärken können.


Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
Sie sind ein ausgesprochen guter Jahrgang und damit für die Gestaltung Ihrer Zukunft und für die Zukunft unseres Volkes gut gerüstet. Dies ist auch notwendig; denn es wird eine Vielzahl von Problemen auf uns zukommen. Die meisten kommen nicht überraschend, waren lange vorherzusehen, wurden aber verdrängt, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte.

Ich weiß noch genau, welchen Aufschrei es in Deutschland gab, als vor über 10 Jahren aus Bayern gefordert wurde, für die Einbürgerung von Ausländern sollten ausreichende Deutsch-Kenntnisse Voraussetzung sein. Von Deutschtümelei war die Rede; heute – nach PISA - propagieren dieselben politischen Gruppierungen den Deutschunterricht für ausländische Kinder als Voraussetzung für die Einschulung. Und wie viel Prügel hat nicht Friedrich Merz für die Forderung nach der deutschen Leitkultur bekommen! Doch heute bereitet den Verantwortlichen die drohende Ghettoisierung deutscher Großstädte großes Kopfzerbrechen.

Schon diese beiden Beispiele zeigen, dass die heutige Lebenssituation Folge von Entscheidungen in der Vergangenheit ist, und entsprechend müssen heute - auch von Ihnen - Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden. Richtige Entscheidungen hängen aber immer von einer richtigen Analyse der Ausgangssituation ab. Und da sind – um mit dem Hl. Petrus zu sprechen – Nüchternheit und Wachsamkeit gefordert. (12)

Diese Tugenden sind aber heute nicht sehr gefragt. Nüchternheit und Wachsamkeit werden durch political correctness ersetzt und das ist eine euphemistische Umschreibung dafür, dass die Generation der 68er zwar praktisch alle Tabus ihrer eigenen Elterngeneration aufgebrochen hat, aber an die Folgen davon nicht erinnert werden möchte und nun selbst bestimmte Themen tabuisiert.

Dabei wäre es doch wichtig, aus der Geschichte, aus der Erfahrung zu lernen, wie es Christa Meves im Rheinischen Merkur am 29.04.2004 ausführt. (13)

"Es ist [aber] die Neigung entstanden, davon so wenig wie möglich ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Besonders in den elektronischen Medien wurde und wird dieser Lernprozess durch Verschleiern, ja durch Verheimlichen verhindert, zum Beispiel:

Schon sieben Jahre nach Einführung der Antibabypille sanken die Geburtenzahlen von 2,6 Kindern auf 1,4 Kinder pro Familie. Da der "Pillenknick" in den folgenden Jahren sich keineswegs als kurzfristig erwies, sondern sich auf diesem viel zu niedrigen Niveau einpendelte, ließ sich wissen, dass jenseits der Jahrhundertwende sich daraus eine existenzielle Gefahr entwickeln würde, weil weder die Renten noch das Gesundheitssystem weiterhin bezahlbar sein würden. Aber diese Einsicht wurde nicht nur nicht verbreitet, sondern wie in einen Kokon des Verdrängens und Verschweigens eingesponnen, bis die Zeitbombe vor kurzem platzte. (14)

Im Jahre 1976 wurde darüber hinaus der Paragraf 218 derart aufgeweicht, dass auch die Abtreibungen sprunghaft zunahmen. Das Bundesverfassungsgericht erließ 1976 bei der Gesetzesänderung die Anweisung, dass nach zehn Jahren zu überprüfen sei, ob, wie angeblich erhofft, die Abtreibungszahlen zurückgegangen seien. (15) Das aber wurde unter den Teppich gekehrt, obgleich sich 1986 herausstellte, dass das nicht der Fall war. Das Gleiche bahnt sich noch einmal nach der weiteren Gesetzesänderung von 1995 an (siehe dazu Manfred Spieker im RM Nr. 17/2004).

Aber das Großunrecht als ein Selbstmordprogramm der Gesellschaft allgemein zu thematisieren fällt immer noch aus. Es ist längst zu einem Tabu geworden, die Auswirkungen nüchtern ins Auge zu fassen." (16)

Ein Beweis für diese Einschätzung ist eine Broschüre des zuständigen Bundesministeriums zum Thema Gesundheitsreform, in der es unter dem Stichwort Schwangerschaftsabbruch wörtlich heißt: "Für die Versicherten ändert sich nichts, da diese Leistungen auch weiterhin über die Krankenkassen abgerechnet werden. Da es sich um Leistungen handelt, die im gesamtgesellschaftlichen Interesse sind, werden diese aus Steuermitteln finanziert." (17)


Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
es macht mich fassungslos, dass Handlungen, die vom Bundesverfassungsgericht als zwar straffrei, aber doch als rechtswidrig bezeichnet werden, von einer Bundesregierung nun selbstverständlich als rechtskonform verkündet werden, ja dass sogar behauptet wird, solche rechtswidrigen Handlungen seien im gesamtgesellschaftlichen Interesse! Aber wie ist es gesamtgesellschaftlich zu vertreten, dass die Kosten für die Heilung von Kranken reduziert werden müssen, für die Tötung von Ungeborenen aber jährlich 42 Millionen Euro ausgegeben werden? (18) Wie können ca. 8 Millionen Abtreibungen in den letzten 30 Jahren im Interesse einer Gesellschaft liegen, die vergreist? (19) Dabei wissen die Politiker aller Parteien – und jeder von uns kann es auch wissen, dass die Zahl von über 200.000 Abtreibungen pro Jahr fast genau der Zahl der Menschen entspricht, die zuwandern müssen, um den Bevölkerungsstand in der Bundesrepublik zu erhalten.

Das Festhalten an Irrtümern - wider besseres Wissen - ist aber sicher nicht geeignet, das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen, wie es Bundespräsident Rau in seiner letzten Berliner Rede von den Politikern gefordert hat.

Ehrlicher ist da die Analyse von Frank Schirrmacher in seinem Buch ,Das Methusalem-Komplott': "Tatsächlich ist unsere Kultur in den letzten Jahrzehnten von zwei biologischen Urbedürfnissen geprägt, ja verwandelt worden. Zum einen wollten die Menschen ihr Altwerden verzögern oder verdecken, durch Kosmetik, Sport, Medizin, Ernährung. Zum anderen erlaubte die moderne Medizin ein Ausleben der Sexualität ohne das Risiko einer Fortpflanzung. Kosmetik- und Lifestylefabriken, wie auch Pharma- und Medienindustrie haben Weltbilder entworfen und durchgesetzt, die mit denen der Religion, Philosophie und Politik vergangener Jahrhunderte offenbar mühelos konkurrieren konnten. Jetzt aber wird das Zwangssystem von Jugend, Schönheit und Sexualität für die neue Mehrheit der Menschen zur Bedrohung. Schon zerspringt das Glas; in wenigen Jahren stehen wir vor den Scherben dieses Weltbilds wie vor einem zerbrochenen Spiegel, in dem wir uns nicht mehr wiedererkennen können."(20)


Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
Sie sehen, wohin es führt, wenn der Gott der Bibel durch den Gott der Jugend, der Schönheit und der Sexualität ersetzt wird, wenn der Mensch – biblisch gesprochen – vom verbotenen Baum der Erkenntnis isst, wenn er sich nicht einem natürliches Sittengesetz unterordnen, sondern selbst über Gut und Böse entscheiden will, wenn er sich an die Stelle Gottes setzt: der Mensch verliert das Paradies.

Und deshalb müsste es uns besorgt machen, dass Gott keinen Platz in der europäischen Verfassung gefunden hat(21) und dass in Berlin über die Verbannung der Kreuze aus öffentlichen Gebäuden nachgedacht wird – angeblich im Sinne der Toleranz. Welch ein intellektueller Unfug!(22) Doch wo bleibt der Protest? (23)


Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
gewaltige Aufgaben kommen auf Sie zu, die Sie lösen müssen – im eigenen Interesse, und wir, die Älteren, müssen Sie dabei vorbehaltlos unterstützen – ebenfalls im eigenen Interesse; denn wir sind auf Sie angewiesen.

"Deutschland hat die Kraft, sich zu verändern. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Diese Kraft liegt in den Menschen. Ihre Ideen sind der Reichtum unseres Landes. Damit sich diese Kraft entfalten kann, müssen wir Angst überwinden und Selbstvertrauen zurückgewinnen", hat unser künftiger Bundespräsident nach seiner Wahl gesagt, und deshalb habe ich im ersten Teil meiner Rede versucht, Ihr Selbstvertrauen zu stärken durch die Beschreibung Ihrer schulischen Leistungen. Im zweiten Teil habe ich versucht, Ihnen deutlich zu machen, dass die Weichen für die Zukunft nur richtig gestellt werden, wenn die Gegenwart ohne ideologische Scheuklappen gedeutet wird, und dass die Bindung an unseren christlichen Glauben nicht von ängstlicher Weltfremdheit zeugt, sondern im Gegenteil von befreiendem Realitätssinn – das zeigt die Erfahrung.

Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, und wir alle sollten uns daher als Christen selbstbewusst in die politische Diskussion einschalten; denn – um mit Bischof Marx von Trier zu sprechen - "wir lieben die Welt und das Leben, weil Gott selbst die Welt und mich ins Dasein gerufen hat und sich für mich in Jesus verschenkt hat. Wir sind der Überzeugung, dass die Welt kostbar und schön ist, aber nicht die endgültige Wirklichkeit, wie es ja auch der Alltagserfahrung entspricht. Wir wissen, dass Sünde und Krankheit und Tod zum Leben gehören, aber nicht das letzte Wort behalten. Wir glauben, dass Gott nicht irgendeine Theorie oder wolkige Idee ist, sondern eine liebende Person […]! Wir dürfen durch Sonntag und Fest unsern Alltag unterbrechen im Gebet und in der Feier der heiligen Messe. Familie und Arbeit sind wichtige Wirklichkeiten, weil das, was wir in Liebe tun, Bestand hat in der Stunde unseres Todes. Und so könnte ich jetzt die katholischen Glaubensüberzeugungen weiter aufschließen und immer würde deutlich - das ist keineswegs lebensfremd oder weltfremd. Im Gegenteil: All das nicht zu glauben, nimmt meinem Leben Möglichkeiten, Horizonte des Verstehens, führt mich mehr in die Enge. Der Glaube macht eher frei, führt ins Weite". (24)

Gesine Schwan, die bei der Bundespräsidentenwahl gegen Horst Köhler kandidiert hat, bekennt ebenfalls: "Ich bin praktizierende Katholikin. Mir ist es wichtig darauf zu vertrauen, dass mir das Leben von Gott geschenkt worden ist, um etwas daraus zu machen. Glauben heißt für mich, "trotzdem" sagen zu können. Dieses "trotzdem" – trotz allen sichtbaren Leids als Zeugin für Gottes Schöpfung zu arbeiten – muss für mich mit Bezug zur Transzendenz gefüllt sein, sonst besteht die Gefahr, dass es hohl wird. Es wäre das größte Unglück, das mir zustoßen könnte, wenn ich meinen Glauben verlieren würde. Der Glaube gibt mir die Kraft und die Zuversicht, um aktiv und engagiert für andere eintreten zu können." (25)

Und als letztes Beispiel für die befreiende Kraft des Glaubens zitiere ich eine ehemalige Schülerin, die 1986 bei uns Abitur gemacht hat: "Heute bin ich 36 Jahre alt – und wer weiß, wo die Reise noch hingeht? Egal – dank des festen Wertekompass', den ich an St. Ursula erhalten habe, gehe ich mit Gottvertrauen, Zuversicht und Elan in jede neue Lebensphase." (26)


Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
was kann ich Ihnen Besseres wünschen, als dass Sie mit Gottvertrauen, Zuversicht und Elan in jede neue Lebensphase gehen. Ich wünsche Ihnen also ein "Leben aus Gottes Kraft" (27) im Vertrauen auf seine Verheißung: "Seid gewiss, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." (28)


Anmerkungen:

(1) Hans Magnus Enzensberger, 1929 in Kaufbeuren geboren, Schriftsteller

(2) Helmut Schmidt (geb. 1918 in Hamburg) war Bundeskanzler von 1974 bis 1982

(3) Kölner Stadtanzeiger vom 5.7.2003: "Zu wenig Zeit zum Pauken – Die Zahl der Schüler im Erftkreis, die am Abitur scheitern, steigt."

(4) Das Abiturzeugnis erhalten heute 120 Schülerinnen und Schüler. Seit der Jahrgangsstufe 11 sind also 10 Schüler als Wiederholer oder als Quereinsteiger von anderen Gymnasien dazugekommen.

(5) Es handelt sich um ein Projekt der Hochbegabtenstiftung der Kreissparkasse Köln und der Universität zu Köln.

(6) Hans Magnus Enzensberger, Nomaden im Regal. Essays. Edition suhrkamp 2443. Frankfurt am Main 2003, S. 63f.

(7) Helmut Schmidt, Schreibt lesbare Geschichtsbücher! - Drei Anmerkungen zu Heinrich August Winkler und ein Plädoyer an Historiker, in: DIE ZEIT vom 14. April 2004

(8) vgl. das Bonmot des Trierer Bischofs Marx: "Wer den Zeitgeist heiratet, ist morgen schon Witwer."

(9) Vgl. auch Peter Scholl-Latour, in: Bild am Sonntag vom 23.03.03: "Es ist nun einmal wahr: Der Islam ist eine kämpferische, militante Religion. Anders als Jesus war Mohammed Staatsgründer, Gesetzgeber und Feldherr. Ein Moslem hat die Pflicht, für die gerechte Sache in den Dschihad zu ziehen, was nicht unbedingt Krieg bedeutet, sondern ‚große Anstrengung' […] Wir leben bereits mitten in einer Völkerwanderung. Wenn eines Tages die Türkei EU-Mitglied sein sollte, würden viele Millionen Muslime nach Europa einwandern und sich hier niederlassen. Wir werden ein gigantisches Kosovo erleben mit ethnisch-religiösen Bürgerkriegen."

(10) Vgl. Birgitta vom Lehn, Ganztagsschule, in: Rheinischer Merkur vom 8.6.2004: " Für den Erziehungswissenschaftler Professor Günther Opp, Leiter des Instituts für Rehabilitationspädagogik an der Universität Halle-Wittenberg, kommt "eine Ganztagsschule nur mit hochwertiger Betreuung infrage". Seine Befürchtung: "Als Nebeneffekt verabschieden sich immer mehr Eltern von der Erziehungstätigkeit." Vgl. auch den Kommentar von Birgit Eckes "Hohe Ansprüche", in: Kölnische Rundschau vom 16.06.2004: "Trotzdem versetzt die Selbstverständlichkeit in Erstaunen, mit der viele Eltern offenbar von der Schule eine Art Rundum-Versorgungspaket erwarten, das aus den Kindern perfekt erzogene kleine Menschen mit Hochbildungsgarantie macht. Die mit 80 Prozent meist genannten Forderungen an die Schulen waren mehr Allgemeinbildung, bessere Vorbereitung auf das Berufsleben, mehr Problemlösungskompetenz und mehr Teamfähigkeit. Das sind Erziehungsziele, die durchaus auch im Elternhaus eine Rolle spielen sollten."

(11) Sie waren eine große Jahrgangsstufe, was eine Vielzahl von Kursen und Kombinationen ermöglicht hat; ein breites Unterrichtsangebot, in der Regel Kurse mit überschaubaren Frequenzen und auch Mini-Kurse waren möglich, viele Arbeitsgemeinschaften, kein fachspezifischer Lehrermangel und engagierte Lehrer. Das alles ist nicht selbstverständlich und das werden die Ihnen nachfolgenden Schülergenerationen schmerzlich zu fühlen bekommen; denn mit dem neuen Schuljahr wird die Schüler-Lehrer-Relation wieder einmal verschlechtert, wird durch die Erhöhung der Stundenzahl der etablierten und älteren Lehrer die Neueinstellung jüngerer Lehrer verringert und dadurch wird das Unterrichtsangebot deutlich geringer werden und auch über Jahre bewährte Arbeitsgemeinschaften stehen zur Disposition – und das in einer Zeit, in der angeblich mehr für Bildung getan wird - Auch die Verkürzung der Schulzeit, die ich persönlich grundsätzlich für richtig halte, wird schamlos dazu benutzt, die Stundenzahl an den Gymnasien weiter zu reduzieren. Um nur ein Beispiel zu nennen: da die Jahrgangsstufe 13 entfallen wird, bekommen alle Gymnasiasten ca. 90 Stunden weniger Deutsch-Unterricht. Dasselbe gilt auch für Mathematik. Diese Stunden könnte man sinnvoll dazu benutzen, den Deutsch- und Mathematikunterricht in den Klassen 9 und 10 statt wie bisher 3-stündig zu erteilen, auf 4 Wochenstunden zu erhöhen. Stattdessen gibt es Überlegungen, schon in Klasse 8 von 4 auf 3 Wochenstunden herunterzufahren. Qualitätsentwicklung nach PISA?

(12) 1 Petr 5,8f. "Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens."

(13) Christa Meves, HERAUSGEBER ZU FRAGEN DER ZEIT - Verhinderter Lernprozess durch neue Tabus, in: Rheinischer Merkur vom 29.04.2004

(14) "All die Renten-Kommissionen und Demographie-Ausschüsse haben die alternde Gesellschaft nicht als Gesamterscheinung, sondern, wenn überhaupt, rein rechnerisch erfasst, und auch das viel zu spät. Die Funktionäre der Blindheit gehörten bis vor kurzem einer Generation an, die aus Jahrgängen stammte, die nicht befürchten mussten, noch zu erleben, was sie verdrängten." - Frank Schirrmacher, Das Methusalem-Komplott, Karl Blessing Verlag 5. Aufl. München 2004,S. 113

(15) In Die Tagespost ist am 4.6.04 zu lesen: "Die Bundesregierung sieht derzeit keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, was die Abtreibungsregelung betrifft. […] Die Zahl der Abtreibungen habe sich trotz der kontinuierlichen Vervollständigung der statistischen Erfassung seit 1996 kaum verändert, heißt es in der Antwort [auf eine Kleine Anfrage der Unionsfraktion des Deutschen Bundestages]. Die Bundesregierung gehe ‚davon aus, dass die gesetzlichen Regelungen dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens nachkommen.' Die Juristen-Vereinigung Lebensrecht sieht das jedoch anders. Die Antwort der Bundesregierung zeuge von ‚Unlust, dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner Beobachtungspflicht bezüglich der Auswirkungen der geltenden Abtreibungsgesetze behilflich zu sein.' […] Es verschleiere, dass die Abtreibungen seit 1995 nicht nur insgesamt, sondern wegen der rückläufigen Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter sowie der Geburten auch in ihrer Häufigkeit zugenommen hätten. […] Ohne Korrektur der Gesetze werde das einzelne ungeborene Kind weiter völlig schutzlos bleiben und der Verfall des Rechtsbewusstseins nicht aufzuhalten sein."

(16) Weiter heißt es bei Meves:
"Neuerdings ließ sich nicht mehr die Wahrheit unterdrücken, dass von den 35- bis 40-jährigen Frauen 40 Prozent kinderlos sind, und zwar ein Großteil ungewollt. Aber dass diese Minderung unter anderem etwas mit viel zu frühzeitiger sexueller Aktivität junger Mädchen und deren gesundheitlichen Folgen zu tun hat – das ist tabu. Zusammenhänge dieser Art aufzudecken prallt an der Mauer des Verschweigens ab.
Ähnlich geht es mit der Befreitheit zur Pornografie, die ebenfalls ab 1976 ihrer Fessel enthoben wurde, wodurch vor allem den Männern mehr Möglichkeit zu "entspannendem Vergnügen" erstritten worden war. Aber streng untersagt es der einhellige Trend, hier zu dem bald darauf boomenden sexuellen Missbrauch an Kindern einen Zusammenhang zu erkennen.
Rauchen, Ecstasy- und Cannabis-Konsum wurde unserer Jugend geradezu ans Herz gelegt. Aber die Vielzahl von kleinzelligem Lungenkrebs und die Entstehung von Psychosen nach Drogenkonsum vom Jugendalter an läuten nicht im Mindesten Kampagnen der Warnung in angemessener Lautstärke ein. Wir benehmen uns, als ginge uns die Gesundheit unserer so schmal gewordenen Zahl junger Menschen nichts an. Und überhaupt: Dass Sucht der Ersatz für veruntreute Mütter ist (Leopold Szondi), darf in dieser Gesellschaft und ihrer politischen Correctness erst recht nicht auf den Tisch.
Eine dieser Tabumauern ist besonders hoch: die verheerende Entwicklung der tödlichen Geschlechtskrankheit Aids. Es besteht in Deutschland nicht einmal die ärztliche Pflicht, die Todesursache Aids auf dem Totenschein anzugeben. Trotz der hohen Ansteckungsgefahr hat Aids nicht kontrolliert zu werden; denn es könnte der Zusammenhang mit seiner anfänglichen Verbreitung durch Homosexuelle – als ein Negativfaktor dieser Lebensart – ins Blickfeld rücken. Wem ist je in den Medien schon einmal die Information untergekommen, dass knapp die Hälfte der homosexuell lebenden Männer das 65. Lebensjahr nicht erreicht, während die durchschnittliche Lebenserwartung des Heteros 76 Jahre beträgt?
Noch einmal: Es ist die Lernfähigkeit aus den Erfahrungen, die die Menschheit bisher hat überleben lassen. Wenn unsere befreite Gesellschaft ihre Tabus so hochzieht, dass nach Morgenstern-Manier nicht sein kann, was nicht sein darf, geht diese Chance für den Homo sapiens in dem Maß verloren, indem er vor dem zu Lernenden die Augen verschließt."

(17) Zitiert nach: Stefan Rehder, Warum ein Protestant auch für Katholiken gut ist, in: Die Tagespost vom 22.05.2004

(18) "Insgesamt geben die Bundesländer jährlich rund 42 Millionen Euro für die Tötung ungeborener Kinder aus. Die Ausgaben für die Förderung der Beratungsstellen sind darin noch nicht enthalten", so Manfred Spieker im Rheinischen Merkur Nr. 17/2004.

(19) Manfred Spieker im Rheinischen Merkur Nr. 17/2004: "Dreißig Jahre sind seit der ersten Einführung einer Fristenregelung in das Abtreibungsstrafrecht vergangen. Jede der vier Reformen des Paragrafen 218 Strafgesetzbuch (StGB) – 1974, 1976, 1992 und 1995 – wurde als grundgesetzkonforme Verbesserung des Schutzes ungeborener Kinder ausgegeben, doch jedes Mal wurde der Lebensschutz verschlechtert. Das Ergebnis dieser vergangenen 30 Jahre: acht Millionen getötete Kinder." - Die Folgen sind in den neuen Bundesländern schon Realität. Vgl. dazu den Gastkommentar von Matthias Rößler, damals Staatsminister für Kultus in Sachsen, in DIE WELT vom 8.12.02: "Die Geburtenzahl hat sich im Osten halbiert, junge Leistungsträger wandern ab, und hunderte Schulen schließen. Bald mangelt es an Lehrlingen, an Akademikern Dieses Land streitet leidenschaftlich um gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, aber ihm gehen die Kinder aus, an Fachkräften und an Beitragszahlern für die sozialen Sicherungssysteme auch im Westen. Die Ursache dieser Entwicklung liegt nicht nur in einem oftmals kinderfeindlichen Umfeld für Familien oder der Benachteiligung der Mütter in unserem Rentensystem. Nicht gerade kinderfreundlich zeigt sich auch die freie Wirtschaft, die unter einem enormen Wettbewerbsdruck über Fachkräftemangel klagt und oftmals zu keiner nachhaltigen Personalentwicklung in der Lage ist. Ihr Leitbild ist der hochmobile, dynamische und junge Alleinstehende, nicht die Mutter oder der Familienvater. Damit sägt auch sie an dem Ast, auf dem wir alle sitzen. Dabei zeigt ein Blick nach Skandinavien und anderswo, dass es auch andere Wege gibt. Wenn wir die Überalterung unserer Bevölkerung nicht aufhalten können, verzehren wir die wichtigste Substanz unserer Gesellschaft. Wir brauchen eine höhere Geburtenrate in diesem Land. Familienpolitik im alternden Deutschland muss die Kinder fördern und Frauen mit Kindern in den beruflichen Alltag integrieren. Gewiss, Zuwanderung von Ausländern ist ebenso vonnöten wie deren Integration (nicht: Assimiliation). Aber diese haben selbst Eltern und kommen nicht (nur), um alten Deutschen die Renten zu bezahlen und die Windeln zu wechseln. Für eine über die Grundsicherung hinausgehende Rente sollten Jüngere rechtzeitig selber sorgen. Daran führt kein Weg vorbei."

(20) Frank Schirrmacher, Das Methusalem-Komplott, Karl Blessing Verlag 5. Aufl. München 2004,S. 77

(21) Diese Entscheidung ist am 18. Juni 2004 in Brüssel gefallen. Noch am 4. Juni 2004 hatten der Vorsitzende der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, "in einem gemeinsamen Brief an Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) einen Gottesbezug in der Präambel der Verfassung der Europäischen Union gefordert […]. Darin bitten sie Schröder, sich bei den Verhandlungen über die Verfassung am 17. und 18. Juni für den Gottesbezug einzusetzen. Das gemeinsame kulturelle Erbe Europas sei so nachhaltig von Bibel und Christentum geprägt, dass dies in der Präambel zum Ausdruck kommen sollte. […] Durch den Gottesbezug werde ‚die Vorläufigkeit, Fehlbarkeit und Unvollkommenheit der menschlichen Ordnung' bewusster. Dies sei angesichts der leidvollen Erfahrungen von Krieg und Diktaturen in Europa wichtig. In einer Formulierung, die zugleich die Gewissensfreiheit betone, ‚könnten sich auch diejenigen wiederfinden, die nicht an Gott glauben.'" In: Die Tagespost vom 5.6.2004.

(22) "Christen sollten sich allerdings ihres Glaubens sicher sein. Das gilt vor allem für den Dialog mit dem Islam, zu dem es nach übereinstimmender katholisch-evangelischer Auffassung keine Alternative gibt. Aber der Dialog darf nicht selber zur Religion werden. Wer seines eigenen Glaubens nicht gewiss ist, der ist vielleicht dialogwillig, aber dialogunfähig. Kirchen, sagt der katholische ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde zu Recht, dürften sich nicht zu ideologischen Verstärkern verbreiteter Ängste vor einer muslimischen Eroberung missbrauchen lassen. Gleichzeitig müssten sie gegen fundamentalistische Ansprüche des Islam im Namen der Freiheit auftreten. […]"Toleranz" wird von theologischen Gutmenschen als oberstes Gebot verkündet, Christusbekenntnis und Mission hingegen werden als störend empfunden. Man scheut den aufrechten Gang. Wer aber Gott hören will, sagt Luther, der kann nicht "in sich selbst verkrümmt" sein. Nimmt man dem christlichen Glauben das Bekenntnis zu Christus, von dem allein die Heilsgewissheit ausgeht, dann beraubt man ihn seiner Mitte, seiner Substanz. Christliche Identität und Toleranz, das ist kein Widerspruch. Das Thema der nächsten Jahre heißt vielmehr: Wie sichern Christen die Religionsfreiheit, in der Schule, generell in der Öffentlichkeit? Der Laizismus pocht längst auch an deutsche Türen." So Gernot Facius, Dialog ist keine Religion. In: DIE WELT vom 29.04.2004

(23) Selbst die Deutsche Bischofskonferenz hat zur Europa-Wahl nicht einmal einen Hirtenbrief für nötig gehalten.

(24) Aus einem Interview mit Bischof Reinhard Marx, in: Die Tagespost vom 3.4.04

(25) Aus einem Interview mit Gesine Schwan, in: Die Tagespost vom 15.05.2004

(26) Dr. Stephanie Merkenich in einem Beitrag für den Jahresbericht 2003

(27) So lautet das Motto des 95. Deutschen Katholikentags in Ulm (2004) in Anlehnung an 2 Kor 13,4.

(28) Mt 28,20


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