Verabschiedung der Abiturientia 2007
des Erzbischöflichen St. Ursula-Gymnasiums in Brühl
am 09. Juni 2007

Ansprache von OStD i.K. Werner Otte




Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,

wenn wir die vergangenen 12 Monate Revue passieren lassen, dann könnte man fast von einem märchenhaften Jahr sprechen: Auf das „Sommermärchen“ im Fußball folgte das „Wintermärchen“ im Handball und vielleicht sind Ihnen auch Ihr letzter Schultag und die erfolgreich abgeschlossene Abiturprüfung wie ein Märchen vorgekommen.

Die Wahl dieser Begriffe zeigt, dass auch Erwachsene gerne davon träumen, dass sich in ihrem Alltag hin und wieder ein Märchen ereignet, ein beglückendes Ereignis, mit dem man nicht rechnen konnte: eine gute Fee kommt und sorgt für ein gutes Ende oder gar für ewiges Glück: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Auf den ersten Blick scheint der Begriff „Märchen“ in den genannten Bespielen zu passen: Das „Sommermärchen“ erzählt von einer Nationalmannschaft, die keiner bedeutenden Mannschaft mehr gewachsen ist und selbst mit kleinen große Probleme hat. Da kommt in Person von Jürgen Klinsmann die gute Fee und alles wird gut – jedenfalls fast alles.

Beim Handball ist es ähnlich. Die Weltmeisterschaft hätte in Deutschland kaum jemand wahrgenommen, wenn nicht die gute Fee Heiner Brandt die Mannschaft zum Titelgewinn geführt hätte – ein „Wintermärchen“ in der Köln-Arena.

Und wenn die Spieler nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute – wohldotiert mit hohen Prämien.

Beim zweiten Blick wird aber deutlich, dass die märchenhaften Erfolge im Sport, aber auch die Erfolge beim letzten Schultag und beim Abitur nicht Geschenke einer guten Fee sind, nicht Geschenke von fähigen Trainern, von engagierten Mitschülern oder von guten Lehrern; sie sind vielmehr das Ergebnis gemeinsamer Arbeit, ziel- und ergebnisorientiert. Und in diesem Sinne könnte man unsere Bespiele nun doch wieder als Märchen bezeichnen; denn das Wort Märchen ist die Verkleinerungsform des Substantivs „die Mär“, ein Wort, das wir fast nur noch aus dem Liedtext von Martin Luther kennen: „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her; ich bring euch gute, neue Mär.“ Märchen sind also Geschichten, die eine Botschaft enthalten – in unseren Märchen die Botschaft, dass man Erfolge dort erwarten darf, wo Begabung, Fleiß und Wille zusammenkommen – eine uralte, auch in Sprichwörtern geronnene Erfahrung. Negativ formuliert: Ohne Fleiß kein Preis – Positiv: Wo ein Wille, da ein Weg.

Diese Erfahrung – positiv wie negativ – haben Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, in Ihrer Schulzeit bis zum Abitur alle gemacht. Doch trotz aller Unterschiede im Einzelnen verlässt keiner der Jahrgangsstufe 13 heute unser Gymnasium ohne einen qualifizierten Abschluss. Dazu gratuliere ich Ihnen an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich, auch im Namen des ganzen Lehrerkollegiums, im Namen der gesamten Schülerschaft und sicher auch im Namen aller Anwesenden.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, Sie werden sicher bestätigen, dass Ihnen Ihr Erfolg nicht geschenkt worden ist; sie haben dafür arbeiten müssen, zum Teil auch hart arbeiten müssen. Aber Sie haben meistens den Willen dazu aufgebracht, haben Ihr Ziel nicht aus den Augen verloren, sind von Ihren Eltern auf Ihrem Weg begleitet und von Ihren Lehrern gut vorbereitet worden, offenbar so gut, dass das Wort „Zentralabitur“ bei uns kein großes Thema war 1 und dass auch Ihr Jahrgang insgesamt sehr erfolgreich abgeschnitten hat.

Ein kurzer Blick auf die Prüfungsergebnisse im 4. Fach ist ein Beleg dafür; denn die Durchschnittsnote aller 124 Prüfungen ist genau 2,2. Zu diesem guten Schnitt kommt es, weil 110 von Ihnen, also 89% des Jahrgangs, mindestens die Note „befriedigend“ erreicht haben, 71 - und damit 57% - die Noten „gut“ oder „sehr gut“, 30 die Note „gut“ und 41 die Note „sehr gut“ und davon noch einmal 11 sogar die Note „sehr gut plus“. Anders formuliert: jeder Dritte hat im 4. Fach die Note „sehr gut“ erreicht – eine wirklich „märchenhafte“ Bilanz mit der Botschaft: Fleiß zahlt sich aus.2 Und vielleicht denkt sich nun mancher von Ihnen: wie sähe mein Abiturzeugnis aus, wenn ich die Botschaft eher verstanden und schon in den Jahrgangsstufen 11, 12 und 13 ebenso zielstrebig gearbeitet hätte wie für die Prüfung im 4. Fach?

Dass es viele junge Menschen gibt, bei denen Begabung, Fleiß und Wille auf der einen Seite sowie eine gute Motivation und Betreuung auf der anderen Seite zu entsprechenden Erfolgen führt, zeigt auch die Tatsache,

dass 11 von Ihnen sich freiwillig zu einer mündlichen Prüfungen gemeldet haben mit dem Ziel, die Endnote um 0,1 zu verbessern,
dass 28 von Ihnen im vergangenen Schuljahr an Zertifikatsprüfungen in Italienisch teilgenommen haben und 12 an den DELF-Prüfungen in Französisch.
dass sieben von Ihnen Schulzeitverkürzung in eigener Regie betrieben und durch das Überspringen einer Klasse das Abitur nach 12 Jahren geschafft haben.
dass einer von Ihnen neben der Schule schon 6 Semester sehr erfolgreich InformatikVorlesungen und -seminare der Universität Bonn besucht hat und
dass sieben von Ihnen heute das Abiturzeugnis erhalten, die nach der 10. Klasse der Realschule zu uns gekommen sind. Sie haben sich mit dem Abitur ein neues Ziel gesetzt, sind von uns intensiv beraten, gefördert und betreut worden und haben ihr Ziel mit einer gehörigen Portion Fleiß und Willen erreicht. Herzlichen Glückwunsch!

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, nach dem Abitur gilt auch für Sie, was Papst Benedikt vor einem Monat den Jugendlichen in Sao Paulo gesagt hat: „Vor euren Augen […] liegt ein Leben, das hoffentlich lang sein möge. Aber es gibt nur ein Leben, es ist einzig: Lasst nicht zu, dass es umsonst vergeht, verschwendet es nicht. Lebt mit Beigeisterung, mit Freude, aber vor allem mit Verantwortungsbewusstsein.“ 3

Dies ist sicher leichter gesagt als getan. So war vielleicht schon die Frage „Was soll ich werden?“ für manche von Ihnen nicht leicht zu beantworten angesichts der grundsätzlich vielen Möglichkeiten, aber auch der grundsätzlich vorhandenen Unsicherheit, welche Berufe zukunftssicher sind. Vielleicht war oder ist die Antwort auch deshalb so schwer, weil Ihnen klar geworden ist, dass die Frage eigentlich nicht lautet „Was soll ich werden?“, sondern „Was will ich werden?“ Spätestens da haben Sie auch gemerkt, dass Sie für das Leben draußen mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung brauchen als im Schonraum Ihrer Familie oder auch im Schonraum unserer Schule. Vielleicht ahnen Sie aber auch, dass hinter der Frage „Was will ich werden?“ eine noch bedeutendere Frage steht: „Wer oder was will ich einmal sein?“ – nicht beruflich, nicht standesmäßig, sondern als Mensch.

„Die Frage betrifft“, so Papst Benedikt, […] den Sinn des Lebens. Darum kann sie so gestellt werden: Was muss ich tun, damit mein Leben einen Sinn hat?

Meine erste Antwort lautet: Man muss sich Ziele setzen, die man für erstrebenswert hält, und dann muss man den Weg suchen und gehen, der zu diesem Ziel führt. Also nicht: „der Weg ist das Ziel“, sondern das Ziel muss den Weg bestimmen – sonst verschwendet man das Leben.

Bei der Auswahl der Ziele sollte man jedoch die Tugend der Klugheit nicht außen vor lassen und vorausschauend zu klären versuchen, ob die Ziele wirklich realistisch sind. Wunschdenken und Utopien sind nie zielführend, sondern führen in die Irre, schaffen Frustration und richten oft sogar Schaden an. Dafür gibt es zahllose Beispiele und auch Akademiker sind davor nicht sicher.

So schreibt z.B. der bekannte liberale Soziologe Ralf Dahrendorf – heute 78 Jahre alt: „Mit vielen anderen habe ich gehofft, dass zivilisierte, demokratische Gemeinwesen es Menschen verschiedener Herkunft, Überzeugung und Orientierung erlauben, friedlich als Bürger zusammenzuleben. […] Heute indes stellt sich heraus, dass eben diese Vielfalt in der Gemeinsamkeit nicht stattfindet. Auch in Gesellschaften, in denen alle grosszügige Bürgerrechte genießen, sortieren sich Gruppen zu möglichst homogenen Einheiten. […] Wir wollten eine Welt des together and equal, der Gemeinsamkeit als gleiche Bürger [...]. Heute muss man vielerorts hoffen, dass wenigstens das Minimum seperate but equal noch erreichbar ist. […] Menschen, so scheint es, wollen unter ihresgleichen sein, denn nur dort fühlen sie sich in einer grenzenlosen Welt voller Bedrohungen sicher. […] Die sogenannten multikulturellen Gesellschaften sind dies tatsächlich nur in der Statistik […]. In London, der vielleicht am besten funktionierenden multikulturellen Stadt, weiss man dennoch genau, wo die Westinder, die Bangladeshis und die Chinesen wohnen. [Und er fragt:] Was ist daran falsch? War nicht möglicherweise das multikulturelle Ideal der Fehler?“ 4

Heute, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, darf man das laut fragen; 5 noch vor wenigen Jahren hätte man dafür das Etikett „Ausländerfeindlich“ angeheftet bekommen.

Ein zweiter Gedanke: Wenn man „realistische“ Ziele sucht, dann darf sich der Realismus nicht nur auf die Frage der „Machbarkeit“ beschränken, wie der Bericht einer 37-jährigen Frau zeigt, den ich zitieren und kommentieren möchte.6

„Seit zehn Jahren war ich glücklich verheiratet und auch beruflich sehr erfolgreich. Mein Mann und ich jetteten um die Welt und genossen unsere Freiheit. An meinem 37. Geburtstag beschlossen wir, ein Kind zu bekommen.“ Das Paar setzt also die „Machbarkeit“ eines Kindes selbstverständlich voraus. Es wird geplant wie der Kauf eines Autos.

„Doch ich wurde nicht schwanger und so gingen wir zur Kinderwunschsprechstunde und nach einigen Untersuchungen wurde uns eine künstliche Befruchtung empfohlen.“ Damit ist die 2. Stufe der „Machbarkeit“ erreicht.

„Der erste Versuch war erfolgreich und mein Mann Carsten und ich sehr glücklich über die Schwangerschaft. Nach circa acht Wochen waren auf dem ersten Ultraschall deutlich drei kleine Herzen schlagen zu sehen.“ Die Operation ist also gelungen, die Machbarkeit bestätigt. Alle müssten zufrieden sein. Doch das Gegenteil ist der Fall:

„Ich war geschockt und verzweifelt. Ein Kind hatte ich mir als Karrierefrau noch zugetraut, aber keinesfalls drei.“ Dann wird der Schock noch größer: „Der Arzt klärte uns über die erhöhten Risiken von Mehrlingsschwangerschaften auf [und] sprach von einer durch IVF entstandenen Drillingsschwangerschaft als einer »Fehlleistung der Medizin«, die man durch Reduktion »therapieren« könne.“ Ach so, alles nicht so schlimm; da lässt sich etwas „machen“.

„Er erklärte uns, dass es die Möglichkeit einer selektiven oder einer unselektiven Reduktion gibt. Man könne also entweder den Embryo »reduzieren«, der am besten zu erreichen ist, oder man wartet auf die Ergebnisse der Pränataldiagnostik und wählt den Embryo aus, der eventuell Auffälligkeiten bietet. Für Carsten war die Sache klar […]. »Schatz, wir wollen nur ein Kind und dabei sollte es bleiben!« Er war fasziniert von den Möglichkeiten der Medizin. Ich kam mir vor wie in einem Alptraum und konnte keinen klaren Gedanken fassen.“

Doch dann kommen die Partner gemeinsam zu dem Ergebnis, „dass wir die Drillinge auf eines reduzieren wollen. Auch ich war in den letzten Tagen zu der Erkenntnis gekommen, dass dies der beste Weg sei. Nur mit dem »Selektieren« hatte ich so meine ethischen Bedenken und plante deswegen lieber gleich alle drei abzutreiben, um dann erneut eine künstliche Befruchtung zu probieren.“

Auch diese „Lösung“ scheint - ohne „ethische Bedenken“ - ganz selbstverständlich machbar und man hätte dafür sicher auch einen Schein bekommen und einen „Therapeuten“ gefunden.

Die Begründung der Frau für ihre Entscheidung führt dann aber auf eine andere Ebene: „Ich wollte nicht entscheiden müssen, wer überleben darf und wer nicht.“

Hier taucht auf einmal der Begriff der Verantwortung auf, und zwar in seiner Grundbedeutung. Verantwortung meint, dass ich jemandem Antwort schuldig bin. In diesem Fall hätten die El-tern ihrem Kind später Antwort auf die Frage geben müssen: „Warum darf ich leben, meine Geschwister aber nicht?“ Die vordergründige Lösung dieses Problems – sicher aus Verzweiflung entstanden: wenn keiner mehr da ist, der fragt, brauche ich auch keine Antwort zu geben.

Die gefundene Lösung ist aber nur eine vorläufige; denn in der Frau wachsen trotz massiver Einflussnahme ihres Mannes die Bedenken und sie will Zeit gewinnen. „Ich schaffte es an diesem Abend Carsten zu überreden, die bevorstehende Abtreibung vorerst zu verschieben. Ich hatte mich bereits dazu entschlossen, alle drei zu behalten, traute mich aber nicht, es ihm zu sagen.“ Spätestens hier müsste man auch einmal über die Rolle und die Mitverantwortung der Männer nachdenken!

„Fünf Tage nach diesem Abend wurde uns die Entscheidung abgenommen. Wir waren bei der Pränataldiagnostik und der Gynäkologe stellte den Tod eines der Kinder fest.“

Nun setzt bei beiden Partnern ein Prozess ein, der zu dem gemeinsamen Entschluss führt, „weder ein Kind zu »reduzieren«, noch beide abzutreiben. […] Sechs Wochen zu früh wurden unsere beiden Kinder gesund per Kaiserschnitt entbunden. Wir sind die glücklichsten Eltern der Welt […].“ 7 – und das ausgerechnet deshalb, weil sie das Machbare nicht gemacht haben.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, dieser Erfahrungsbericht einer Mutter, aber auch manche Abiturzeitung zeigt, dass wir bei allen Entscheidungen nicht nur nach der Machbarkeit fragen dürfen, sondern dass die Ziele und die Wege daraufhin untersucht werden müssen, ob sie gut sind – nur dann machen sie glücklich.

Dies aber ist heute einer Gesellschaft kaum noch zu vermitteln, die die Wahlfreiheit und damit letztlich die Beliebigkeit des Handelns absolut setzt und die Gefahren dieses Absolutismus nicht sieht.8 Doch sie sind nicht gering, wie ein zweiter Blick in das Buch von Ralf Dahrendorf zeigt:

“Wahlchancen müssen einen Sinn haben. Das ist aber nur der Fall, wenn sie eingebettet sind in gewisse Wertvorstellungen, die Masstäbe liefern. Hier liegt die grosse und bedrohliche Schwäche einer postmodernen Haltung [...] der grundsätzlichen Beliebigkeit aller Optionen. Wenn es nicht darauf ankommt, was wir wählen – welche politische Partei, welches moralische Verhalten, welche Theorie der Erkenntnis, aber auch welche Konsumgüter -, wenn also alles gleich gültig ist, dann wird nicht nur alles gleichgültig, sondern es setzt eine allgemeine Richtungs- und Orientierungslosigkeit ein. Das ist nicht der Traum von der absoluten Freiheit […]; wahrscheinlicher in dieser Lage ist der Krieg aller gegen alle […]. Anomie ist der Punkt, an dem die grösste Freiheit in die grösste Unfreiheit umschlägt.“9

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, vielleicht fragen Sie sich, ob diese Sicht der Freiheit nicht zu negativ ist. Zeigen denn nicht die Diskussionen im politischen Raum im Gegenteil das permanente Ringen um gute Lösungen? Ist denn z.B. der geplante Ausbau von Krippenplätzen nicht etwas Gutes? Ist denn die damit verheißene „Wahlfreiheit“ der Eltern nicht etwas Gutes?

Die sehr kontrovers geführten Diskussionen über diese Fragen zeigen erstens: Politische Dis-kussionen sind immer von Interessen geleitet. Man muss also immer kritisch fragen: Wessen Interessen werden von wem vertreten? Geht es bei den Krippen um das Wohl der Kinder? Geht es um das Wohl der Familien bzw. der Alleinerziehenden? Geht es um das Wohl des Staates bzw. um die Finanzierbarkeit der Sozialsysteme? Geht es um die Interessen der Industrie? Muss der Staat sich überhaupt um Krippen kümmern, wo er doch im Grundgesetz die Erziehung der Kinder als ein Grundrecht der Eltern formuliert hat und die Nachmittagsbetreuung an den Schulen freien Mitarbeitern überlässt? Ein weites Feld. 10

Zweitens: Die notwendigen Mehrheiten werden – wie in einer Demokratie nicht anders denkbar – immer durch Überzeugungsarbeit zu gewinnen versucht. Doch Vorsicht: das deutsche Verb „überzeugen“ klingt sehr objektiv, ist es aber nur bedingt. Die Römer wussten es besser: in ihrem Verb persuadere steckt das Adjektiv „suavis“ – „süß“. Persuadere bedeutet also: jemandem eine Sache durch und durch süß erscheinen lassen.11 Und das hat sich seit der Schlange im Paradies 12 bis heute nicht geändert. Als Abiturienten werden Sie die verführerische Tendenz der folgenden Schlagzeilen sofort heraushören:

„Schlusslicht bei der Zahl berufstätiger Mütter“13 - oder: - „Kleinkinder haben es bei uns schlecht, an Krippen fehlt es hinten und vorn.“14

Im Umkehrschluss soll dem Leser vermittelt werden: „Wir brauchen mehr berufstätige Mütter, wenn wir nicht Schlusslicht bleiben wollen“ 15 und „Nur Kindern in Krippen geht es gut.“16

Gegenpositionen werden zurückhaltender veröffentlicht oder gar tabuisiert. 17 Doch eine Umfrage vom März 2007 – natürlich nicht im Auftrag des Familienministeriums – belegt:

„Gerade einmal 17 Prozent [der Deutschen] sind […] der Meinung, dass die Kinder in einer Krippe am besten aufgehoben seien, während 81 Prozent die Erziehung durch die Eltern für das Beste halten.
Wäre die Familienpolitik an echter Wahlfreiheit der Eltern interessiert und würde sie die 1000 Euro, die ein Krippenplatz durchschnittlich im Monat kostet, direkt an die Mütter auszahlen, also Subjekt- statt Objektförderung betreiben, dann würden 69 Prozent der Mütter in den ersten drei Jahren zu Hause bleiben und ihr Kind selbst erziehen.“ 18

Nicht sehr bekannt sein dürfte auch der Offene Brief „An die Mütter in Deutschland“, mit dem Anna Wahlgren, Mutter von neun Kindern und Schwedens populärste Erziehungsexpertin, eindringlich vor den Folgen einer Übernahme des schwedischen Krippen-Modells warnt.19

Es bleibt also bei der Analyse von Ralf Dahrendorf: „Wahlchancen müssen einen Sinn haben. Das ist aber nur der Fall, wenn sie eingebettet sind in gewisse Wertvorstellungen, die Masstäbe liefern.“ Er nennt sie „Ligaturen“20, Wertvorstellungen, die die Menschen einer Gesellschaft miteinander verbinden21 und die eine Gesellschaft zusammenhalten. Benennen kann er sie letztlich nicht und wäre schon zufrieden, wenn es Personen oder Institutionen gäbe, „die zumindest dies im öffentlichen Bewusstsein (halten), dass es wichtig ist, die Suche nach solchen Werten nicht aufzugeben“. Und er wiederholt: „Weniges ist schlimmer als die Beliebigkeit der haltlosen Welt, denn der Weg von der Anomie zur Tyrannei ist kurz.“23

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, man kann es drehen und wenden, wie man will: eine Welt ohne Gott ist offenbar immer gefährdet, ihr fehlen universale moralische Werte, die allein in Gott begründet sein können. Nur von Gott her können wir letztlich zwischen Gut und Böse unterscheiden. Wenn wir der Schlange folgen und wie Gott sein wollen oder uns gar an die Stelle Gottes setzen, dann verlieren wir das Paradies. Das ist nicht etwa eine Drohbotschaft, sondern eine befreiend realistische Botschaft, die uns Zukunft eröffnet und das Leben als sinnvoll erfahren lässt.24

Hören wir dazu noch einmal Papst Benedikt vor den Jugendlichen in Sao Paulo: „Jesus selbst offenbart das, was für uns gut ist […]: ‚Wenn du […] das Leben erlangen willst, halte die Gebote.’25 […] Sie sind die Wegzeiger, die uns auf den rechten Weg führen. Wer die Gebote achtet, befindet sich auf dem Weg Gottes. Aber es reicht nicht, sie zu kennen.26 Das Zeugnis ist gültiger als das Wissen, es ist das angewandte Wissen. […]

Ihr könnt die Protagonisten einer neuen Gesellschaft sein, wenn ihr ein konkretes Verhalten an den Tag legt, das von den universalen moralischen Werten inspiriert ist. […] Seid freie und verantwortliche Männer und Frauen; macht aus der Familie ein Zentrum, das Friede und Freude ausstrahlt; seid Förderer des Lebens von seinem Anfang bis zu seinem natürlichen Ende; schützt die Alten, weil sie Respekt und Bewunderung für das verdienen, was sie euch getan haben. Der Papst [wünscht] sich auch, dass die Jugendlichen ihre Arbeit zu heiligen versuchen, indem sie sie mit technischer Kompetenz und mit Sorgfalt verrichten, um zum Fortschritt all ihrer Brüder beizutragen und um alle menschlichen Aktivitäten ,mit dem Licht des Evangeliums zu erleuchten’ (vgl. Lumen gentium. 36).

Vor allem aber wünscht sich der Papst, dass sie es verstehen, Protagonisten einer gerechteren und brüderlicheren Gesellschaft zu sein, indem sie ihre Pflichten dem Staat gegenüber erfüllen, indem sie seine Gesetze achten, indem sie sich nicht von Hass und Gewalt treiben lassen, indem sie versuchen, Vorbild eines christlichen Verhaltens in ihrem beruflichen und sozialen Umfeld zu sein und sich durch Ehrenhaftigkeit in ihren sozialen und beruflichen Beziehungen auszeichnen. Sie mögen sich daran erinnern, dass der maßlose Anspruch auf Reichtum und Macht zu persönlicher Korruption und zur Korruption der anderen führt: es gibt keine gültigen Gründe, die den Versuch rechtfertigen würden, die eigenen Ansprüche, seien sie wirtschaftlicher oder politischer Art, durch Betrug und Täuschung durchzusetzen.“

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, wenn ich auf die Jahre zurückblicke, die Sie in unse-rem Gymnasium verbracht haben, und auf den Weg, den wir – Lehrer, Schüler und Eltern - gemeinsam zurückgelegt haben, so schaue ich optimistisch in die Zukunft. Sie haben von Ihren Eltern, von Ihren Lehrern und auch von einander gelernt, sich Ziele zu setzen, die realistisch und machbar sind, und wir haben daher in der Schule gemeinsam schon manche Ziele erreicht, an die wir uns gerne erinnern.

In fruchtbarer Auseinandersetzung mit Ihren Eltern sowie im Unterricht verschiedener Fächer haben Sie auch gelernt, nach ethischen und moralischen Kategorien zu fragen, mit denen man das Machbare beurteilen muss, und speziell im Religionsunterricht, in den Morgengebeten und in den Schulgottesdiensten ist Ihnen sicher der christliche Glaube als orientierendes und sinnstiftendes Angebot vermittelt worden. Damit sind Sie für die Zukunft gut gerüstet und deshalb weiß ich unsere Zukunft bei Ihnen in guten Händen. Auf dem Weg in diese Zukunft möge das „Märchen“ Ihrer Schulzeit und die Botschaft des Heiligen Vaters Sie immer begleiten:

„Lebt mit Begeisterung, mit Freude,
aber vor allem mit Verantwortungsbewusstsein.“

Gott schütze Sie auf Ihrem weiteren Lebensweg!






Endnoten

1 Warum sollte man auch ängstlich besorgt sein? Ich habe das Thema Zentralabitur im Vorfeld immer mit dem Hinweis heruntergespielt: Wer hat ein größeres Interesse am erfolgreichen Ausgang des Zentralabiturs und wer wird mehr für das Gelingen tun als die Politik?

2 Während der Abiturjahrgang 2006 in der Spitze einer der besten der Schule überhaupt gewesen sein dürfte (nicht weniger als 6 Abiturienten hatten die Durchschnittsnote 1,0 erreicht), so ist der Jahrgang 2007 sicher der Jahrgang mit der „breitesten Spitze“.

3 zitiert nach: Die Tagespost vom 12.05.2007

4 Ralf Dahrendorf, Auf der Suche nach einer neuen Ordnung. Vorlesungen zur Politik der Freiheit im 21. Jahrhundert. Verlag C.H. Beck. 2. Auflage München 2003, S. 41ff.

5 Frank Plasberg stellte unlängst sogar in der WDR-Sendung „Hart aber fair“ den Multi-Kulti-Träumen von Rot-Grün einen neuen Realismus in der Bewertung entgegen.

6 Auch hier gäbe es eine Fülle von Beispielen. Nur zwei aktuelle seien genannt: 1. Die Enthüllungen in Sachen Doping im Sport zeigen, dass auch nicht volljährigen Sportlern Dopingmittel verabreicht worden sind – z.T. auch ohne ihr Wissen. 2. „Ein niederländischer Fernsehsender will eine todkranke Frau aus drei Kandidaten auswählen lassen, wer eine Niere von ihr bekommt.“ (Kölnische Rundschau vom 29.05.07). Auch wenn sich das am Ende der Sendung als „Werbegag“ herausgestellt hat (die todkranke Frau war eine Schauspielerin), so stellt sich doch die Frage, ob der Zweck (Werbung für Organspenden) die Mittel heiligt und warum sich Millionen Menschen – ohne das Ende zu kennen – eine solche Sendung anschauen.

7 AlfA, Lebensforum 82, 2. Quartal 2007

8 Anders reagierten Befragte in der WDR-Sendung “Markt” am 21.05.2007, als sie mit der Möglichkeit des Imports von Klonfleisch aus den USA – also Fleisch von geklonten Rindern – konfrontiert wurden. Hier sahen sie offenbar eine Gefahr für ihre eigene Gesundheit und lehnten Klon-Fleisch einhellig ab. Hier tauchten dann „alte“ Begriffe auf wie z.B. das Wort „unnatürlich“.

9 a.a.O. S. 45

10 Nach Paul Kirchhof (Das Gesetz der Hydra. München 2006) kümmert sich der Staat um viel zu viele Dinge, die freie Bürger auch selbst regeln könnten, und fordert deshalb: „Gebt den Bürgern ihren Staat zurück!“

11 Vgl. Heinrich Georges, Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, Zweiter Band. 12. Aufl., Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1969: suadeo, suasi,suasum, ere (zu suavis, also jmdm. etwas angenehm machen), […] (S. 2835) – persuadeo […], eig. mit Erfolg raten; dah. I) überzeugen […] – II) insbes. […] überreden, durch Überredung wozu bestimmen, -vermögen, -verführen […] (S. 1647)

12 vgl. Gen 3,4-6: „ 4 Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben. 5 Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.6 Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden.“ (Einheitsübersetzung, Herder 1980)

13 Kölnische Rundschau vom 23.04.2007

14 Kommentar von Bernd Stadelmann in der Kölnischen Rundschau vom 3.4.07

15 Ketzerisch könnte man fragen, ob Schlusslichter nicht durchaus positiv sind. Sie verhindern Auffahrunfälle.

16 Auch dieses Bild von der Krippe (in Bethlehem) kann man kritisch hinterfragen. Jesus musste in einer Krippe liegen, weil in der Herberge kein Platz war. Die Krippe war nur eine Notlösung.

17 Als z.B. Bischof Walter Mixa sich provokant zu Wort meldete, forderten Abgeordnete der SPD und der Grünen sofort seine Absetzung – als Militärbischof!

18 Manfred Spieker, Ein Krippenplatz für jedes dritte Kind?, in: FAZ vom 13.04.07 - „Die Zahlen wurden von ipsos, dem viertgrößten und auf gesellschaftspolitische Probleme spezialisierten Umfrage-Institut der Welt, ermittelt und zwar im Auftrag des Familiennetzwerkes, das diese Zahlen seit Freitag auch auf seiner Internetseite veröffentlicht (www.familie-ist-zukunft.de).“, so Jürgen Liminski, in: Die Tagespost vom 31. März 03.2007

19 vgl. Kölnische Rundschau / März 2007 – Der Offene Brief ist aber nicht im politischen Teil der Zeitung abgedruckt, sondern weiter hinten: „Liebe Mütter in Deutschland, Schweden ist das große Vorbild für Sie in Deutschland, wo es um Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, um höhere Geburtenzahlen und um sogenannte frühkindliche „Bildung" in staatlichen Kinderkrippen. So höre und lese ich bei meinen zahlreichen Kontakten nach Deutschland. Deutsche Politikerlnnen, Journalistlnnen Wissenschaftlerlnnen werden nicht müde, das schwedisch-skandinavische Familienmodell zur Nachahmung anzupreisen. Deshalb wende ich mich heute an Sie mit einer dringenden Warnung: Schweden ist kein kinderfreundliches Land! Der schwedische Wohlfahrtsstaat taugt nicht als Modell für Familienfreundlichkeit, denn Kinder und alte Menschen werden beiseite geschoben, und es geht ihnen schlecht dabei. Kleine Kinder, ganztags fremdbetreut, lachen wenig, sie spielen nicht frei, fantasievoll und unbekümmert. Unsere Kindertagesstätten entpuppen sich nach 25-jähriger Erfahrung als das größte soziale und wirtschaftliche Desaster. In den Schulen herrscht Gewalt, Eltern und Lehrer werden bedroht, jedes dritte schwedische Kind leidet an einer psychologischen Störung. Depressionen, Alkohol- und Drogenprobleme unter Jugendlicher nehmen in beängstigender Weise zu. Jedes Jahr begehen 100 Kinder Selbstmord. Wie konnte es dazu kommen? Zuerst wurde der Ruf der Nur Hausfrauen in den Schmutz gezogen, um ihnen dann ihre Rechte zu entziehen. Dann wurde der durchschnittlichen Familie mit nur einem Einkommen die Existenzmöglichkeit genommen durch Änderungen in der Besteuerung. Massive Propaganda für ein frühes Weggeben der Kinder in Tagesstätten hat bewirkt, dass junge Eltern häufig einen totalen Mangel an Selbstvertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten als Eltern haben. In den Gesetzesbüchern ist das Wort Familie durch das Wort Haushalte ersetzt worden. Enorme Beträge werden in das System der Kindertagesstätten investiert. Doch diejenigen, die ihre Kinder selbst aufziehen wollen, erhalten nichts. In Deutschland beobachte ich in letzter Zeit auffallend ähnliche Tendenzen. Unsere Kinder in Schweden verlieren ihr Zuhause und ihre Familien viel zu früh. Deshalb appelliere ich an Euch deutsche Mütter: Rettet Euren Kindern wenigstens die ersten drei Jahre! Gebt Eure unter Dreijährigen nicht ohne Not in institutionelle Betreuung! Keine fremde Person ist in der Lage, Eurem Kind die Liebe und Aufmerksamkeit entgegen zu bringen, die der liebenden Verbindung zwischen Euch und Eurem Kind entspricht. Kinder wollen den Alltag mit uns teilen, nicht nur besondere Augenblicke an zwei kurzen Stunden nach Feierabend.“ Vgl. dazu auch Jochen Wittmann in der Kölnischen Rundschau vom 26.03.2007 unter der Überschrift „Formel 513 zum 5. Geburtstag“: „Noch sind es Pläne, aber im September nächsten Jahres sollen sie Gesetz werden: Die britische Regierung will ein ‚Nationales Curriculum’ für Kinder von der Geburt bis zum Alter von fünf Jahren einführen. Die Staatssekretärin im Erziehungsministerium Beverley Hughes stellte ein 92 Seiten umfassendes Papier mit den staatlichen Richtlinien für Kindergärten und Tagesmütter vor. Darin sind 69 ‚frühe Lernziele’ aufgelistet und 513 ‚Fähigkeiten und Einstellungen’ beschrieben, die jedes Kind bis zum fünften Geburtstag erwerben soll. Sprachstandserhebungen wie in NRW nehmen sich dagegen recht harmlos aus. Denn auf die lieben Kleinen auf der Insel kommt einiges zu: Noch bevor sie 11 Monate alt sind, sollen sie gelernt haben, mit den eigenen Zehen zu spielen. Im Alter von 16 Monaten sind sie gehalten, Musik zu genießen und erste Tanzbewegungen zu üben. Wenn sie die Zweijahresschwelle erreicht haben, wird erwartet, dass sie ungefähr verstehen was die Zahlen eins und zwei bedeuten. Und als Fünfjährige sollen sie wissen, was falsch und was richtig ist, ihren eigenen Namen schreiben können und ein erstes Verständnis von Interpunktion erworben haben. Britische Kinder haben es nicht leicht. Viele besuchen schon den Kindergarten, bevor sie ein Jahr alt sind, weil beide Eltern arbeiten gehen. Mit vier beginnt die Vorschule, und die dauert auch für sie, wie bei den Älteren, von neun bis drei Uhr nachmittags. Demnächst soll der Schultag noch länger werden. Die Regierung will die schulische Rundumversorgung bereitstellen mit AGs und Lehrerbetreuung nach Unterrichtsschluss. Die Briten arbeiten unter allen Europäern die meisten Stunden in der Woche. Warum, scheint sich da die Regierung wohl zu denken, sollen es die Kinder leichter haben als die Erwachsenen? Allerdings ist der jüngste Vorstoß, künftig auch Lehrpläne für die Allerjüngsten einzuführen, auf heftige Kritik von Seiten der Konservativen Opposition und der Elternverbände gestoßen. ‚Es ist wirklich traurig’, kommentiert Margaret Morrissey von der ‚National Confederation of Parent Teacher Associations’, ‚dass wir den Stress für die Kinder erhöhen statt zu senken.’“

20 a.a.O. S. 44-48

21 vgl. Lateinisch ligare - binden, verbinden

22 Vgl. Kardinal Joseph Höffner, Christliche Soziallehre. Studienausgabe, herausgegeben vom Presseamt des Erzbistums Köln, 1978: „§ 3 Die gemeinschaftsbildenden Kräfte im Menschen - l. Die triebhaft zur Geselligkeit drängenden Kräfte des Menschen – Geschlechtstrieb, Nachahmungstrieb, Geltungstrieb, Kampftrieb, Spieltrieb usw. - reichen zur Bildung dauerhafter gesellschaftlicher Verbindungen und Institutionen nicht aus […]. Auch das bloße Disputieren und Kritisieren schließt auf die Dauer nicht zusammen. Gemeinschaftsbildend wirken vielmehr vor allem zwei geistige Kräfte: die Bereitschaft zur Nachfolge und die Liebe. Die Bereitschaft zur Nachfolge, wie sie etwa das Verhältnis der Kinder zu den Eltern und der Schüler zum Meister bestimmt, ist keine Flucht in die Fremdverantwortung, sondern persönliche Entscheidung. Sie setzt gesinnungsmäßige Verbundenheit voraus und ist häufig mit der Liebe vereint. Dabei handelt es sich nicht um jene „Liebe“, die den anderen Menschen egoistisch missbraucht und wie ein Konsumgut behandelt, sondern um die Liebe als Werthaltung, die sich in der Opferbereitschaft für den Nächsten und für die Gemeinschaft auswirkt. - 2. Durch die geistige Verbundenheit untereinander sind die Menschen imstande, soziale Tugenden (Nächstenliebe, Treue, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Gehorsam) zu üben und Kultursachgebiete aufzubauen, die ein Einzelner aus sich allein nicht schaffen könnte (Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft usw.).“

23 a.a.O S. 54

24 Ganz anders sieht das Polly Toynbee, leitende Kommentatorin beim britischen „Guardian“, in der ZEIT vom 31.05.2007: „Menschenrechte und Religion stehen zueinander in einem fundamentalen Konfliktverhältnis. Fast alle Religionen versuchen, die Freiheit der Frauen einzuschränken, über ihre eigene Fruchtbarkeit zu entscheiden. Sie verweigern Menschen die eigenständige Entscheidung darüber, wann sie Kinder gebären möchten und wann sie sterben wollen. Sie verweigern Menschen das Recht, ihre Sexualität nach eigenen Vorstellungen auszuleben. Und jetzt versuchen sie sogar, die Freiheit wieder abzuschaffen, in primitiven Texten enthaltene „offenbarte“ religiöse Wahrheiten zu bezweifeln und zu verspotten. Es ist höchste Zeit, dass Europäer die freiheitlichen und demokratischen Werte der Aufklärung aufs Neue verteidigen. Deren neuer Gegner ist ein finsteres Bündnis aller Glaubensrichtungen, das den Nichtgläubigen die Macht entreißen will. Geht das weltliche Europa nicht sofort zum Gegenangriff über, wird Gott in die Politik zurückkehren. Aus Angst davor, irgendwen zu beleidigen, werden wir dann zum Schweigen gezwungen sein – selbst dann, wenn Europa noch immer ein Kontinent der Nichtgläubigen ist.“ – Wer Ohren hat zu hören, der höre!

25 Mt 19,17

26 Eine interessante Frage wäre, wie viel Prozent der Deutschen (oder der Anwesenden?) die 10 Gebote nennen können: „1. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. 2. Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren. 3. Gedenke, dass du den Sabbat heiligst. 4. Du sollst Vater und Mutter ehren. 5. Du sollst nicht töten. 6. Du sollst nicht ehebrechen. 7. Du sollst nicht stehlen. 8. Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten. 9. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau. 10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut.“ Zi-tiert nach: Botschaft des Glaubens. Ein katholischer Katechismus. 1. Auflage, 1. unveränderter Nachdruck. Verlag Ludwig Auer Donauwörth, 1979


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