Begabtenförderprogramm "Fördern, Fordern, Forschen"
der Universität Bonn

Überreichung der Zertifikate an die erfolgreichen Schüler
am 10.03.2004

Ansprache von OStD i.K. Werner Otte,
Erzbischöfliches St. Ursula-Gymnasium Brühl




Ew. Magnifizenz, sehr geehrte Damen und Herren!

Die Einladung, an dieser Stelle eine Ansprache aus der Sicht der Schulen zu halten, habe ich aus 3 Gründen gerne angenommen.

Vom WS 1967 bis zum SS 1971 habe ich an der Universität Bonn als Zweithörer Katholische Theologie studiert und hätte mir damals nicht träumen lassen, dass ich hier einmal in offizieller Mission sprechen könnte. Der erste Grund.

Als Vertreter der Schulen freue ich mich natürlich sehr, dass so viele Schülerinnen und Schüler schon während der Schulzeit Zusatzangebote an der Universität wahrnehmen können und mit Erfolg wahrnehmen und dass ich ihnen dazu gratulieren kann - darunter auch 3 Schüler unseres Gymnasiums. Der zweite Grund.

Der dritte Grund: ich bin wirklich dankbar, dass ich es vor meiner Pensionierung noch erleben darf, dass man die Wörter "Leistung", "Begabtenförderung" und sogar das Wort "Elite" wieder ungestraft in den Mund nehmen darf.

Dass dies nicht selbstverständlich ist und auch nicht unbedingt zu erwarten war, möchte ich besonders Ihnen, liebe Schülerinnen und Schüler, erläutern, damit Sie sehen, welch Glück es für Sie ist, heute die Schule zu besuchen, und welche Möglichkeiten begabten Schülergenerationen vor Ihnen aus ideologischen Gründen vorenthalten worden sind – z.T. von denselben Leuten, die heute die Begabtenförderung propagieren.

Als ich mich 1985 den Eltern als neuer Schulleiter vorstellte, habe ich unter anderem erklärt, dass ein Gymnasium von seinen Schülern durchaus Leistung fordern müsse, wenn es sie angemessen fördern wolle, auch im Interesse der Gesellschaft; denn wenn ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland international konkurrenzfähig bleiben wolle, sei es auf einen hohen Ausbildungsstand seiner Menschen angewiesen.

Dieses "Bekenntnis zur Leistungsschule" wurde von den Eltern in der Schulpflegschaft aufgegriffen und kulminierte in der Frage: "Was haben unsere Kinder davon, wenn sie zwar besser ausgebildet sind als andere an anderen Schulen1, aber wegen des schlechteren Notendurchschnitts den begehrten Studien- oder Ausbildungsplatz nicht bekommen?"

Diese Frage war damals berechtigt und ist es heute immer noch2, wenn auch nicht mehr ganz so drängend3, und sie zeigt, dass die erschreckenden Ergebnisse der PISA-Studie nur verblendete Ideologen, bewusst Ahnungslose und naive Blauäugige überraschen konnten - offensichtlich aber auch die Kultusminister.

Zwischen 1985 und 1990 stellte sich uns nämlich immer die Frage: wie viele Schüler werden nach der Klasse 10 zu einer anderen Schule wechseln, wo sie nach ihrer persönlichen Einschätzung das Abitur mit weniger Aufwand und mit besseren Noten bekommen? Und auch heute soll es – das wissen Sie besser als ich – noch Wanderungen von Schule A nach Schule B geben, um bessere Noten zu bekommen.

Ob solches – menschlich durchaus verständliches, jahrelang praktiziertes und von der Politik geduldetes - Taktieren von Schülern zur Qualität der Ausbildung und zur Verbesserung der Studierfähigkeit beiträgt, ist wohl eher zu bezweifeln.

Und kann man sich wirklich über gravierende Mängel in den Bereichen "muttersprachliche und mathematische Kompetenz" wundern, wenn deutsche Gymnasiasten über lange Jahre Deutsch oder Mathematik am Ende der Jahrgangsstufe 12 abwählen konnten? Sollten Schüler die Botschaft wirklich nicht verstanden haben, dass Deutsch und Mathematik offensichtlich nicht so wichtig sind, und sollte sich das Wissen darum nicht bis in die Mittel- oder gar Unterstufe herumgesprochen und zu entsprechendem Verhalten geführt haben? Deshalb kann es eigentlich niemanden überraschen, dass der Rektor der Fachhochschule Dortmund vor 2 Jahren laut darüber nachdachte, ob man den zukünftigen Brückenbauern noch trauen kann - wegen ihrer schwachen Mathematikkenntnisse!4

Schon vor 20 Jahren – ich war damals Jahrgangsstufenleiter an einem öffentlichen Gymnasium - hat eine Schülerin der Jahrgangsstufe 12 zu mir gesagt: "Eins verstehe ich nicht, Herr Otte: warum kann man Mathematik nach 12/II abwählen, Sport aber erst nach 13/I?"

Diese Möglichkeiten der Abwahl sind zwar mittlerweile aufgehoben, weil die Folgen nicht mehr zu übersehen waren; doch kann man mit der Endnote "mangelhaft-minus" in Mathematik oder Deutsch oder in der einzigen Fremdsprache noch immer die Allgemeine Hochschulreife erwerben!

Dabei hat unsere Landesregierung bereits 1998 die "Qualitätssicherung" propagiert, hat aber schon wenige Wochen später für die Klassen 5 eine Kürzung des Unterrichts angeordnet und schon vorher unter dem Stichwort "Effizienzsteigerung" die Lehrerstellen radikal gekürzt, die Lerngruppen vergrößert und das Unterrichtsangebot so sehr verkleinert, dass sich 1999 verschiedene Schülergruppen der Jahrgangsstufen 10, 11 und 12 bei mir zu Recht beklagten, dass sie deutlich weniger Kurse belegen könnten, als es der Jahrgang davor noch konnte. "Wir wollen mehr lernen" sagten die Schüler, und ich musste ihnen sagen: "Ihr dürft aber nicht!"5

Doch damit nicht genug: zum neuen Schuljahr wird die Zahl der Lehrerstellen noch weiter verringert, und mit der beschlossenen Verkürzung der Schulzeit wird die Zahl der Unterrichtsstunden bis zum Abitur noch weiter gekürzt und dann unter der Zahl der Stunden liegen, die von der Kultusministerkonferenz für das Abitur gefordert wird – wirklich: ein echter Beitrag zur Qualitätssicherung.

Wie leistungsfeindlich das Klima in der Vergangenheit war, illustriert ein Artikel in der FAZ vom 6.12.2001: "Zwanzig Jahre lang weigerten sich Bildungspolitiker, Gewerkschaften und Lehrerverbände, die Schulen in internationale Schulleistungsvergleiche einzubinden. Eine Hamburger Schulsenatorin riskierte noch vor wenigen Jahren ihren Posten, als sie einem Bildungsforscher gestattete, die Lese- und Rechtschreibfähigkeiten eines ganzen Schülerjahrgangs ihrer Stadt zu testen. Man sprach von "Watergate im Klassenzimmer", die Lehrergewerkschaft GEW verklagte den Hamburger Senat wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Lehrern. Die Posse fand erst in diesem Frühjahr vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Ende."

Wohin solche leistungsfeindlichen Tendenzen geführt haben, war am 5.1.2002 unter der Überschrift Die Angst, ein Streber zu sein in der Tagespost zu lesen: "Talentierte deutsche Schüler leiden besonders stark unter dem Vorwurf, Streber zu sein. Insbesondere Mädchen schöpften ihr Leistungsvermögen aus Sorge um ihren Ruf in der Klasse nicht aus, heißt es in den vorläufigen Ergebnissen einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung, die die Universität Chemnitz am Donnerstag veröffentlichte. Damit verhalten sich deutsche Jugendliche offenbar anders als ihre Altersgenossen in Kanada und Israel, wo gute Noten die Anerkennung in der Klasse erhöhten."

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Gäste, in meinem Bereich habe ich immer wieder darauf hingewiesen, dass im Sport selbstverständlich einzelne Athleten oder Mannschaften in Wettkämpfen erproben, wer der Bessere ist. Das gilt nicht als unanständig, vielmehr baut man darauf, dass die Erfolge von Spitzensportlern für junge Menschen motivierenden Charakter haben. Warum sollte das im Bildungsbereich anders sein? Und doch gab es Schulen, an denen die Abiturienten die Besten des Jahrgangs nicht genannt und erst recht nicht ausgezeichnet sehen wollten.

Bei uns war das immer anders. Wir halten uns an den römischen Dichter Horaz (65 - 8 v.Chr.): "Exempla trahunt. Gute Beispiele motivieren." Deshalb überreiche ich alle Auszeichnungen, die Schülerinnen und Schüler erringen, grundsätzlich persönlich, und zwar öffentlich – vor der Klasse oder vor dem Kurs oder sogar vor der ganzen Schülerschaft.

Und daher gilt mein erster Dank als Vertreter der Schulen der Universität Bonn, ihrem Rektor und den beteiligten Fakultäten dafür, dass Sie für unsere begabten Schülerinnen und Schüler das Programm "Fördern, Fordern, Forschen" ins Leben gerufen haben und dass Sie die erfolgreichen Absolventen in einer akademischen Feierstunde auszeichnen. Gerade in diesem Festakt wird eine Wertschätzung der jungen Menschen und ihrer Leistung deutlich, die sicher einen bleibenden Eindruck hinterlässt und sicher auch zu weiterer Leistungsbereitschaft motiviert.

Mein Dank gilt zweitens den Schulen und den Eltern; denn Motivation und Erfolg von jungen Menschen hängen ganz wesentlich davon ab, in welchem Klima sie aufwachsen, ob Bildung als Wert gilt, ob man ihre Talente erkennt und fördert, ihnen Wege öffnet und Unterstützung anbietet.

Mein Dank gilt drittens den Schülerinnen und Schülern, dass sie sich neuen Herausforderungen gestellt haben und durch ihre erfolgreiche Teilnahme an dem Projekt beweisen, wozu auch heute junge Menschen fähig sind, wenn sie gefordert und gefördert werden.

Liebe Schülerinnen und Schüler, mit meiner Gratulation und meinem Dank möchte ich abschließend drei Bitten an Sie richten:

Sorgen Sie mit dafür, dass in Zukunft nicht mehr ideologisches Denken die optimale Bildung und Ausbildung der jungen Generationen verhindert, dass vielmehr jeder seinen Möglichkeiten entsprechend gefördert wird und dass die dazu notwendigen Mittel vorrangig bereitgestellt werden.

Bedenken Sie das Horaz-Zitat "Exempla trahunt – Gute Beispiele motivieren", werben Sie bei jüngeren Mitschülern für die Teilnahme am Projekt "Fördern, Fordern, Forschen" und tragen Sie so mit dazu bei, dass sich an unseren Schulen das Lernklima weiter verbessert.

Sie werden gleich für besondere Leistungen ausgezeichnet. Darauf können Sie stolz sein und darauf können Sie aufbauen. Vergessen Sie aber bitte nie, dass wir nach christlichem Verständnis nicht für uns allein leben, sondern dass wir in jeder Position, die wir einnehmen oder einmal einnehmen werden, auch für die anderen verantwortlich sind. Ihre Eltern, Ihre Lehrer und Ihre Professoren kümmern sich um Sie, machen Sie es später an verantwortlicher Stelle ebenso!

Weltanschaulich neutral kann ich Ihnen dasselbe sagen, indem ich Sie auf Artikel 14 des Grundgesetzes hinweise: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen". Diesen Satz darf man sicher analog auf das geistige Eigentum übertragen. Daher gilt: seien Sie ruhig stolz auf Ihre Leistung, aber werden Sie nicht arrogant und arbeiten Sie nicht nur für Ihre eigene Karriere, sondern seien Sie immer bereit, Ihre geistigen Fähigkeiten einzusetzen zum Wohle der Allgemeinheit.

Noch einmal: herzlichen Glückwunsch und alles Gute für Ihren weiteren Weg.



1 Dazu ein praktisches Beispiel: Auf dem Abiturzeugnis müssen neuerdings alle Fremdsprachen, die ein Schüler gelernt hat, auf der letzten Seite aufgeführt werden. Auf dem offiziellen Formular sind dafür 3 Spalten vorgesehen. Man geht also offenbar davon aus, dass Schüler in NRW maximal 3 Fremdsprachen lernen. Uns jedoch stellt sich das Problem, dass viele Abiturienten 4 Sprachen gelernt haben und dass für die 4. Sprache kein Platz vorgesehen ist. Sie muss also in der Rubrik "Bemerkungen" aufgeführt werden!

2 40% Studienabbrecher allein an der Universität Köln sprechen eine deutliche Sprache; denn alle Abbrecher müssen für die Aufnahme ihres Studiums die Allgemeine Hochschulreife nachgewiesen haben. Dennoch haben sie diese Reife offensichtlich nur auf dem Papier besessen. Und kein Journalist stellt die Frage, woher diese Studenten kommen. Dabei wäre diese Frage relativ leicht zu beantworten, wenn man es wollte; sie ist aber wohl – bisher? – politisch nicht erwünscht.

3 Die Anzahl der NC-Fächer ist insgesamt geringer geworden und damit auch der Notendruck. Man kann es sich heute also vielleicht eher "erlauben", für bessere Leistungen schlechtere Noten als andere zu bekommen. Auch der Arbeitsmarkt hat sich für Gymnasiasten entspannt; doch zeigen sich auch hier die Probleme der schwachen schulischen Ausbildung. Ich weiß aus erster Hand, dass die Kreissparkasse Köln über ihre Einstellungstests nicht aus 1.000 Bewerbern die 100 Besten aussucht, sondern 1.000 Bewerber testen muss, um 100 Geeignete zu finden.

4 vgl. Zitate von Eberhard Menzel, dem neuen Rektor der FH Dortmund, im Kölner Stadtanzeiger vom 2.2.02: "Gut 30 Prozent der Studenten, die bei uns anfangen, haben die Grundbegriffe der Mathematik nicht mitbekommen. [...] Nach meiner Erfahrung fallen 70 bis 80 Prozent der Studenten in den Anfangssemestern in Mathe-Klausuren durch. [...] Wenn ich im Bauingenieurswesen wäre, würde ich sagen, dass die Brücken des Ingenieursnachwuchses wohl zusammenbrechen werden. [...] Sollen wir die Studenten durchkommen lassen und Ingenieure ausbilden, deren Kenntnisse immer schlechter werden, oder sollen wir ein bestimmtes Qualitätsniveau halten und Studenten nach Hause schicken?"

5 vgl. dazu auch Kölnische Rundschau vom 7.6.02:"Die Schulsysteme in den Bundesländern werden immer unterschiedlicher. So erhalten Schüler in Bayern von der ersten bis zur neunten Klasse laut Stundenplan über 1000 Unterrichtsstunden mehr als in NRW. Das entspricht dem Volumen eines Schuljahres. Dies ergibt eine Studie des Schulforschers Klaus Klemm für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft."

6 "In der Liebe wie in der Solidarität durchbricht der Mensch die Festung seiner Ich-Bezogenheit. Wer nicht über die Grenzen seiner individuellen Existenz hinausdenken kann, der wird nie erkennen, warum Kinder eine Bereicherung des Lebens sind. Wenn jeder nur für sich lebt, entsteht eine neue Eiszeit der Einsamkeit. Wer niemanden braucht, der wird auch selber nicht gebraucht. [...] Wenn nur noch Nutzenmaximierung gilt, wird das Leben anstrengend, grau und eintönig. Jede Lebensäußerung, jede Bindung muss einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden. Treue, Loyalität, Vertrauen haben in dieser "kalkulierten Gesellschaft" keinen Platz. Egoismus macht jedoch traurig [...] Liebe gelingt eben nicht mit einer permanenten Vorteilskalkulation, und der flexible Mensch [...] ist in Gefahr, sich selbst zu verlieren, weil er dem dauerhaften Zwang ausgesetzt wird, alle Optionen auch zu nutzen. [...] Nur nichts verpassen, und nirgendwo verweilen. Nur nichts Dauerhaftes." Norbert Blüm in: Die Tagespost vom 23.12.98


zurück